Angesichts der Bemühungen der Rechtsprechung zur Eingrenzung der fiktiven Schadensabrechnung ist die Seinsfrage der fiktiven Abrechnung in letzter Zeit in den Hintergrund gerückt. Umso überraschender ist der Vorstoß des VII. Zivilsenats, den bisherigen, weitergehenden schadensrechtlichen Gleichlauf von deliktischen Schadensersatzansprüchen und solchen aus Gewährleistungsrecht zu beenden und die fiktive Schadensabrechnung gedachter Mangelbeseitigungskosten zu versagen.[77]

Ist dies nun das Ende der fiktiven Schadensabrechnung im Kfz-Schadensrecht, wie es beispielsweise das LG Darmstadt[78] mit Vehemenz postuliert? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ich glaube dies eher nicht, zu vieles spricht dagegen. Ob die Entscheidung aus bau- und werkvertragsrechtlicher Sicht zu überzeugen vermag, mögen andere beurteilen.[79] Eine Übertragbarkeit auf das Kfz-Schadensrecht liegt jedoch fern. Hierzu in aller Kürze drei Thesen:

  1. Die Entscheidung des VII. Zivilsenats beruht in erster Linie auf der Einschätzung, die fiktive Zuerkennung von Mangelbeseitigungskosten führe zu einer Überkompensation des Geschädigten. Das erscheint nachvollziehbar. Wenn etwa die Mängelbeseitigung eines optischen Mangels einen hohen Betrag (50.000 EUR) erfordert, der Besteller und ein etwaiger Käufer (der Markt) dem Mangel aber keine allzu große Bedeutung zumessen (Minderung des Verkaufspreises: 5.000 EUR), ist eine Überkompensation eklatant. Eine vergleichbare Überkompensation ist im Kfz-Schadensrecht indes nicht zu befürchten. Weil der Ersatz fiktiver Wiederherstellungskosten durch die Höhe des Wiederbeschaffungswerts begrenzt ist, sind größere Abweichungen von Reparaturkosten und schadensbedingtem Wertverlust, der meist dem Wiederbeschaffungsaufwand entsprechen dürfte, eher nicht zu befürchten. Im Übrigen hat der VI. Senat, wie oben gezeigt, eine Reihe von Instrumenten entwickelt, um der Überkompensation entgegenzuwirken, was die Attraktivität der fiktiven Abrechnung für den Geschädigten weiter verringert hat.
  2. Die fiktive Sachschadensabrechnung ist mit Einfügung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB vorausgesetzt und hat damit eine gesetzliche Verankerung erfahren. Sie entspricht im Kfz-Sachschadensrecht jahrzehntelanger Rechtstradition und erfreut sich im Detail reger Rechtsfortbildung. Ihre Schattenseiten sind lange bekannt, ohne dass dies dazu geführt hätte, die fiktive Abrechnung per se ernsthaft in Frage zu stellen. Vielmehr hat die Rechtsprechung praktikable Wege aufgezeigt, die damit verbundenen Missbrauchsanreize zu entschärfen (z.B. gestellter Unfall, zu hohe Gutachterprognosen, Schwarzarbeit). Umgekehrt lauern auch bei der konkreten Abrechnung Missbrauchsanreize etwa in Gestalt überhöhter Rechnungen oder sogar von Scheinrechnungen. Insoweit steht auch die These, die fiktive Schadensabrechnung führe zu Mehrkosten für die Versicherungsgemeinschaft, auf unsicherem Terrain. Die fiktive Schadensabrechnung ist mit dem Gesetz, wie gezeigt, vereinbar und hat sich letztlich – die Ausnahme bestätigt die Regel – bewährt. Deshalb gilt auch hier der Grundsatz: Never change a winning team!
  3. Schließlich erkennt der VII. Senat selbst keinen Grund, dass seine Rechtsprechungsänderung auch auf andere Rechtsgebiete Auswirkung haben könnte. Eine ansonsten gebotene Vorlage an den großen Senat für Zivilsachen hat er ausdrücklich mit Blick auf die "Besonderheiten des Werkvertragsrechts" verneint. Dann sollten wir ihn beim Wort nehmen!
[78] Urt. v. 5.9.2018 – 23 O 386/17 (nicht rechtskräftig) in Anlehnung an U. Picker JZ 2018, 676, 680.
[79] Zustimmend etwa Popescu BauR 2018, 1599; U. Picker JZ 2018, 676; wohl auch Volt NJW 2018, 2166; kritisch dagegen etwa Deppenkemper jM 2018, 222; Rodemann ZfBR 2018, 320; Schwenker MDR 2018, 640; Thode, jurisPR-PrivBauR 6/2018 Anm. 1.

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