Das Gesetz unterscheidet zur Testierunfähigkeit die Geistesschwäche, die krankhafte Störung der Geistestätigkeit und die Bewusstseinsstörung.[78] In medizinischer Hinsicht unterscheiden sich diese wie folgt:

Geistesschwäche ist ein genetisch oder durch externe Einflüsse (Unfall) bedingter dauerhafter irreversibler Zustand,[79] z. B. Minderbegabung, Residualzustände nach Psychosen oder Unfällen.[80]
Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit ist hingegen ein durch eine Erkrankung hervorgerufener Zustand, der im Falle der Heilung der Krankheit endet; hier kommt es entscheidend auf den Zustand zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. Hierunter fallen Hirnleistungsstörungen wie Demenz[81] und wahnhafte Störungen wie Schizophrenie oder wahnhafte Depressionen.[82]
Unter Bewusstseinsstörung fällt z. B. Delir,[83] Koma, Intoxikation, Trunkenheit,[84] Drogenrausch,[85] Hypnose etc.

Eine Intoxikation kann auch durch Multimedikation eintreten.[86] Doering-Striening wies auf dem 5. Seniorenrechtstag am 9.5.2014 in Berlin auf die zunehmende Bedeutung dieses Phänomens hin. Während Cording[87] noch darauf hinweist, dass die Auswirkungen von Medikamenten im Übrigen überschätzt werden, äußert sich Wetterling[88] jüngst dahingehend, dass dem möglichen Einfluss psychotroper Substanzen bei der Beurteilung der Geschäfts- und Testierfähigkeit vergleichsweise wenig – vielleicht zu wenig – Beachtung geschenkt wird.

Auch Erschöpfungszustände seelischer oder körperlicher Art sowie die Drohung mit Verlassenwerden oder körperlicher Gewalt können den Grad einer Bewusstseinsstörung erreichen[89], ebenso wie formale Denkstörungen wie wahnhaftes Misstrauen[90] und die Einflussnahme Dritter,[91] was insbesondere dann naheliegend ist, wenn der Erblasser bei der Beurkundung kaum gesprochen hat und der Bedachte beim Notar zugegen und wortführend war.[92]

[78] Staudinger/Baumann, § 2229 BGB Rn 35 ff.
[79] Staudinger/Baumann, § 2229 BGB Rn 28.
[80] Cording, ZEV 2010, 115; Wetterling, ErbR 2010, 345; ders. ErbR 2014, 94.
[81] Eingehend Wetterling, ErbR 2014, 94, 98.
[82] Wetterling, ErbR 2010, 345.
[83] Wetterling, ErbR 2014, 94.
[84] Siehe hierzu Wetterling, ErbR 2015, 179, und Brandenburgisches OLG ErbR 2014, 393.
[85] Wetterling, ErbR 2015, 179.
[86] Wetterling, ErbR 2015, 179; ders, ErbR 2010, 345. Diese Auswirkungen einer medikamentösen Schmerztherapie auf die Testierfähigkeit werden allerdings oft überschätzt, siehe etwa Brandenburgisches OLG ErbR 2014, 141 = RNotZ 2014, 321.
[87] ZEV 2010, 23, 27.
[88] ErbR 02015, 179.
[89] Burandt/Rojahn/Lauck, § 2229 BGB Rn 16.
[90] Cording, ZEV 2010, 115, 118.
[91] BGH NJW 1996, 918; BGH NJW 1970, 1680; BayObLG FamRZ 1990, 318; zur Beeinflussung durch Dritte eingehend Wetterling, ErbR 2015, 544.

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