Nach Art. 4 Abs. 1 DBA Schweiz/Deutschland[41] ist eine Person grundsätzlich in demjenigen Vertragsstaat ansässig, in dem sie gemäß innerstaatlichem Recht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Sofern eine natürliche Person sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und damit in beiden Vertragsstaaten ansässig ist, wird die Ansässigkeit unter dem DBA nach den sog. Tie-Breaker Rules gem. folgender Reihenfolge bestimmt:

  1. ständige Wohnstätte,
  2. Mittelpunkt der Lebensinteressen,
  3. gewöhnlicher Aufenthalt,
  4. die Staatsangehörigkeit oder
  5. gemäß gegenseitigem Einvernehmen der Vertragsstaaten.

Nach diesen Tie-Breaker Rules sind folgende Ergebnisse möglich:

Ansässigkeit in Deutschland: Die Person unterliegt weiterhin der unbeschränkten Steuerpflicht in der Schweiz, jedoch wird eine Doppelbesteuerung in der Schweiz mittels der in Art. 24 DBA Schweiz/Deutschland vorgesehenen Freistellungs- oder Anrechnungsmethode, abhängig von der Einkunftsart, vermieden.
Ansässigkeit in der Schweiz: Die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland bleibt in diesem Fall weiterhin bestehen, soweit dies gemäß DBA zulässig ist (vgl. auch nachfolgender Abschnitt zur überdachenden Besteuerung in Deutschland Kap. B. I. 2.). Jedoch kann das deutsche Besteuerungsrecht nur nach Maßgabe des DBA ausgeübt werden. Es sind deshalb vorbehaltlich des Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz/Deutschland

Zitat

"die Beschränkungen zu beachten, die sich daraus ergeben, dass bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte (…) allein in der Schweiz als Staat der Ansässigkeit im Sinne des Abkommens (z.B. nach Art. 21 [DBA Schweiz/Deutschland] drittstaatliche Einkünfte) und andere Einkünfte in der Bundesrepublik nur in beschränktem Umfang (z.B. Dividenden nach Art. 10 Abs. 2 [DBA Schweiz/Deutschland]) besteuert werden dürfen."

Der Begriff der ständigen Wohnstätte als erstes Unterscheidungskriterium im Fall einer doppelten Ansässigkeit wird im DBA Schweiz/Deutschland nicht näher definiert. Gemäß BFH ist der Begriff "ständige Wohnstätte" wie folgt zu verstehen:

Zitat

"Der Begriff "ständige Wohnstätte" ist ein speziell abkommensrechtlicher, da er dazu dient, bei mehrfacher Ansässigkeit i.S. des Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz vorrangig dem einen oder anderen Vertragsstaat die Wahrnehmung seines Besteuerungsrechts zu belassen (…). Er ist nach allgemeinen völkerrechtlichen Regeln, d.h. anhand des Wortlauts, aus seinem Sinn und Zweck und aus seinem systematischen Zusammenhang heraus auszulegen (…)."[42]

Dieser völkerrechtlichen Auslegungssystematik folgend legte der BFH dar, dass es für das Bestehen einer ständigen Wohnstätte nicht ausreichend sei, dass man über eine Wohnung in Deutschland verfüge. Vielmehr sei eine gewisse Regelmäßigkeit der Nutzung vorausgesetzt. Erst dann könne man von einem "qualifizierten Wohnsitz" ausgehen, welcher sich vom gewöhnlichen, die unbeschränkte Steuerpflicht nach Art. 4 Abs. 1 DBA Schweiz/Deutschland auslösenden Wohnsitz, unterscheide.[43]

Der BFH hat in einem weiteren Urteil[44] folgende Kriterien festgelegt, auf welche im Einzelfall zur Beurteilung abgestellt werden kann:

langfristige Rechtsposition,
Intensität der Nutzung, die objektiv auf eine Einbindung der Wohnung in das übliche Leben hindeutet,
Häufigkeit der Nutzung,
regelmäßige Verteilung der Aufenthalte über das Jahr.[45]
[41] Im Plural steht der Begriff "die DBA Schweiz/Deutschland" sowohl für das DBA Schweiz/Deutschland auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (vgl. Fn 15) als auch für das DBA Schweiz/Deutschland auf dem Gebiet der Nachlass- und Erbschaftsteuern vom 30.11.1978 (DBA Schweiz/Deutschland [E]; SR 0.672.913.61). Zur besonderen Ansässigkeitsregelung nach Art. 4 Abs. 6 DBA Schweiz/Deutschland siehe die Ausführungen zur Pauschalbesteuerung (vgl. Kap. A. I. 2.).
[43] Kolb/Kubaile, Kompaktkommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland – Schweiz, 3. Aufl. 2015, S. 19.
[45] Kolb/Kubaile, S. 19.

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