Die Auslegung dient der Ermittlung des erklärten Willens des Erblassers. Es ist daher nicht ausreichend, dass überhaupt ein formgültiges Testament des Erblassers vorliegt, um im Wege der Auslegung seinem vorhandenen Testierwillen zum Erfolg zu verhelfen. Erforderlich ist vielmehr nach herrschender Meinung, dass der vorhandene Erblasserwille in der Testamentsurkunde selbst einen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (Andeutungstheorie).[27]

Die Rechtsprechung verwendet statt der Bezeichnung eines unvollkommenen Ausdrucks vielfach den Begriff der "hinreichenden Stütze"[28] im Text des Testaments oder spricht von Anhaltspunkten[29] in der letztwilligen Verfügung, ohne dass hierdurch eine inhaltliche Differenzierung stattfindet. Fehlt es für den behaupteten Erblasserwillen an jedem noch so geringen Anhalt in der Testamentsurkunde selbst, so kann der unterbliebenen formgerechten Erklärung des Erblasserwillens auch nicht durch Auslegung zur Wirksamkeit verholfen werden. Der Andeutungstheorie wird vereinzelt entgegengehalten, sie bevorzuge den weitschweifigen Erblasser gegenüber demjenigen, der knapp formuliere, und würde zur Rechtsunsicherheit führen, weil der Richter einen weiten Beurteilungsspielraum habe, ob er den Anhalt im Testament findet oder nicht.[30] Dem ist entgegenzuhalten, dass es letztlich um die Respektierung des gesetzlichen Formzwangs, insbesondere aber darum geht, den Erblasser selbst nach seinem Tode vor Behauptungen zu schützen, die seinem Willen niemals entsprochen haben. Die vorgeschriebenen Formen sollen mit dazu beitragen, verantwortliches Testieren zu fördern und Streitigkeiten über den Inhalt letztwilliger Verfügungen zu vermeiden.[31] Würde man jeder noch so fernliegenden Behauptung schon deshalb Gewicht beilegen müssen, weil überhaupt eine formgültige letztwillige Verfügung vorliegt, so zwänge dies das Gericht zu Beweiserhebungen über gänzlich anderes als im Testament Niedergelegtes und könnte so insbesondere mittels (falscher) Zeugenaussagen zu einer völligen Verfälschung nicht nur des erklärten, sondern auch des tatsächlichen Erblasserwillens führen.

Zu berücksichtigen ist aber auch noch ein weiterer praktischer Umstand: Der Erblasser wird zu Lebzeiten bisweilen gute Gründe haben, sich Dritten oder Erbprätendenten gegenüber in bestimmter Weise über seine Testierabsichten zu äußern, ohne dass er tatsächlich gedenkt, so zu testieren. Auch ist denkbar, dass der Erblasser anderen gegenüber – etwa Pflegepersonen – bewusst wahrheitswidrig erklärt, er habe sie in seinem Testament bedacht, um ihr Wohlwollen zu erhalten oder die dringend benötigte Hilfe nicht zu verlieren. Der gesetzliche Formzwang dient daher auch dem Schutz des Erblassers, der darauf vertraut, dass seinem schriftlich niedergelegten letzten Willen und nicht unverbindlichen mündlichen Äußerungen zur Wirksamkeit verholfen wird. Nicht jede beweisbare mündliche Äußerung, sondern nur der verbindlich schriftlich erklärte Wille des Erblassers kann daher bindende Kraft erlangen.

Ist der letzte Wille des Erblassers in mehreren wirksamen Testamenten enthalten, die sich nach seiner Vorstellung ergänzen, so bilden diese Testamente in ihrer Gesamtheit die Erklärung des Erblasserwillens, soweit nicht Verfügungen in einem früheren Testament mit solchen in einem späteren Testament im Widerspruch stehen.[32] Ausreichend ist dann, wenn sich der Anhalt in einem der wirksamen Testamente finden lässt.

[27] Ganz h.M., BGHZ 80, 242, 244, BayObLG ObLGR 2000, 10; Staudinger/Otte, Vorbem. zu § 2064 Rn 28 ff.; MüKo/Leipold, § 2084 Rn 9; a.A. Brox, § 15 II 3.
[28] BGH FamRZ 2002, 26, 27 = MDR 2001, 1409; BayObLG ObLGR 2000, 10.
[29] BGHZ 86, 41, 47.
[30] Brox, § 15 II 3.
[31] BGHZ 80, 246, 251.
[32] BayObLG FamRZ 1997, 251; BayObLG FamRZ 1999, 814.

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