Der BFH hat mit Urt. v. 19.2.2013 (II R 47/11) erbschaftsteuerliche Nachteile der Schlusserben von Berliner Testamenten beseitigt. In zwei Urteilen vom 5.2.2020 (II R 1/16 und 17/16) bestätigte er diese Nachteile, obwohl die Sachverhalte nur in der schicksalhaften Zeitspanne zwischen den Erbfällen der berlinisch testierenden Ehepaare differieren. Der Autor hält diese formal-restriktive Rechtsprechung des BFH für kritikwürdig, auch im Hinblick auf Art. 3 GG.

In seinem Urt. v. 19.2.2013 stellte der Bundesfinanzhof[2] die folgenden Grundsätze zu einer erbschaftssteuerlichen Konstellation vor, die aufgrund eines "Berliner Testaments" von Ehepaaren mit Abkömmlingen typisch sein kann: Der nach dem Berliner Testament seiner Eltern beim ersten Erbfall "enterbte" Abkömmling kann bei seiner Schlusserbfolge im zweiten Erbfall dem Finanzamt gegenüber nachholend "fiktiv" den Pflichtteil steuermindernd geltend machen, den er im ersten Erbfall zwar erworben, aber von dem damals allein erbenden Elternteil nicht verlangt hatte. Das Finanzamt hat deshalb den Pflichtteilsbetrag als Nachlassverbindlichkeit vom Steuerwert des vom zweiten Elternteil an den Abkömmling vererbten Nachlasses abzusetzen. Ferner kann der Abkömmling für diesen Pflichtteil den ihm aus dem ersten Erbfall zustehenden Freibetrag gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. In Anspruch nehmen. Bei entsprechend hohen Nachlasswerten kann der Abkömmling daher zwei wesentliche Steuerverschonungen erwarten: Die Minderung des als Erbe im zweiten Erbfall zu versteuernden Nachlasswerts um den Pflichtteilsbetrag aus dem ersten Erbfall sowie die Ausnutzung des Freibetrags für diesen Pflichtteil von (bis zu) 400.000 EUR.

"Verschenken" des Freibetrags durch das "Berliner Testament"

Dieses Urteil des BFH brachte den längst fälligen Ausgleich eines mit dem "Berliner Testament" verbundenen steuerlichen Nachteils: Der beim Tod des ersten Elternteils "enterbte" Abkömmling muss seinen Freibetrag von 400.000 EUR quasi an den Fiskus "verschenken", wenn er dem elterlichen Testamentswillen folgt und davon absieht, von seinem allein erbenden überlebenden Elternteil den Pflichtteil zu verlangen, oder wenn er dies wegen einer im Testament enthaltenen Strafklausel unterlässt. Der BFH gestattet diesem Abkömmling nun, diesen Pflichtteil als erbschaftsteuerlich absetzbare Nachlassverbindlichkeit des zweiten Elternteils zu behandeln sowie ferner, aus diesem Pflichtteil den Freibetrag nach dem ersten Elternteil ganz oder zum Teil in Anspruch zu nehmen. Um das "Verschenken" des Freibetrags von vornherein abzuwenden, könnte auch der Gesetzgeber den Abkömmlingen die Freibeträge nach beiden Elternteilen expressis verbis zugestehen, wenn sie erst im Schlusserbfall des "Berliner Testaments" ihre (praktisch: beiden) Elternteile beerben. Nach geltender Gesetzeslage sind sie auch erbschaftsteuerlich nur Erben ihres zuletzt verstorbenen Elternteils.

Die Situation bei zivilrechtlich verjährtem Pflichtteilsanspruch

Das Urteil des BFH vom 19.2.2013 entschied nicht darüber, ob ein Abkömmling den "fiktiven" Pflichtteil am Nachlass des ersten Elternteils dem Finanzamt gegenüber auch geltend machen kann, wenn dieser Anspruch zivilrechtlich nach der Frist von drei Jahren bereits verjährt ist, also insbesondere, wenn eine die Verjährungsfrist übersteigende Zeitspanne zwischen den beiden Erbfällen liegt und der überlebende Elternteil gegen die Forderung die Einrede der Verjährung hätte erheben können. In dem Fall des BFH lagen zwischen den beiden Erbfällen nur etwa zwei Jahre; es bestand daher kein Anlass, die Rechtslage nach der zivilrechtlichen Verjährung anzusprechen.

Die erbschaftsteuerlichen Folgen der zivilrechtlichen Verjährung des Pflichtteilsanspruchs des Abkömmlings waren nun – praktisch einziger – Streitgegenstand in den beiden seit dem Jahre 2016 (!) beim BFH anhängigen Revisionsverfahren über im Ergebnis gegensätzliche Urteile der Finanzgerichte Hessen[3] und Schleswig-Holstein[4]. Nach dieser rechtsstaatlich kritikwürdig langen Verfahrensdauer von vier Jahren hat der BFH am 5.2.2020 über die beiden Revisionen entschieden[5]. Es ging in diesen beiden Urteilen nicht mehr um die steuerliche Grundsatzfrage, sondern "nur" noch um die – für die Praxis wichtige – Zusatzfrage, ob die Möglichkeit des überlebenden Elternteils, nach Ablauf der dreijährigen Frist[6] nach dem Tod des ersten Elternteils dem Pflichtteilsverlangen des Schlusserben die Einrede der Verjährung entgegen zu stellen, auch dem Finanzamt gestattet, dem nachgeholten "fiktiven" Pflichtteilsanspruch dieses Schlusserben die steuerlichen Begünstigungen zu versagen (so das Hessische FG), oder ob die unterbliebene Einrede bewirkt, dass der – materiell fortbestehende – Pflichtteilsanspruch trotz seiner zivilrechtlichen Verjährung "fiktiv" dem Finanzamt gegenüber steuermindernd geltend gemacht werden kann (so das Schleswig-Holsteinische FG).

Restriktive Linie des BFH

Der BFH hat in den Entscheidungen – aus Sicht der Steuerpflichtigen leider – eine restriktive Lini...

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