Leitsatz

Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten, so bleibt trotz des zivilrechtlichen Erlöschens des Pflichtteilsanspruchs erbschaftsteuerrechtlich sein Recht zur Geltendmachung des Pflichtteils als Folge der Regelung in § 10 Abs. 3 ErbStG bestehen. Erklärt der Berechtigte in einem solchen Fall gegenüber dem Finanzamt, er mache den Anspruch geltend, ist dies erbschaftsteuerrechtlich unabhängig davon zu berücksichtigen, ob der Verpflichtete damit rechnen musste, den Anspruch zu Lebzeiten erfüllen zu müssen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt der Mitteilung an das Finanzamt noch nicht verjährt ist.

 

Normenkette

§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 3 Abs. 5 ErbStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO

 

Sachverhalt

Der im Jahr 2003 verstorbene Vater (V) der Klägerin war von seiner Ehefrau (M), der Mutter der Klägerin, aufgrund eines sog. Berliner Testaments allein beerbt worden. Die Klägerin ist die Alleinerbin der im August 2004 verstorbenen M. Nachdem das FA die Erbschaftsteuer für den Erwerb nach M unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt hatte, teilte sie dem FA mit Schreiben vom 5.4.2005 mit, sie mache als Tochter des V ihren Pflichtteil geltend. Das FA folgte diesem Begehren nicht. Die Klage hatten keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.9.2010, 14 K 14203/07, Haufe-Index 2812413).

 

Entscheidung

Der BFH ließ aufgrund der vor Verjährung des Pflichtteilsanspruchs abgegebenen Erklärung der Klägerin gegenüber dem FA, sie mache diesen Anspruch im Hinblick auf den Erwerb der M von V geltend, den Abzug der Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit zu.

 

Hinweis

Der für das Berliner Testament (§ 2269 BGB) typische erbschaftsteuerliche Nachteil liegt darin, dass der Schlusserbe nur Erbe des länger lebenden Ehegatten ist und nur in diesem Verhältnis der persönliche Freibetrag gewährt wird. Eine steuerliche Optimierung in solchen Fällen lässt sich dadurch erreichen, dass der begünstigte Schlusserbe bereits nach dem Tod des Erstversterbenden unter Ausnutzung der Freibetragsregelungen seinen Pflichtteil geltend macht. In diesem Zusammenhang hatte der BFH darüber zu entscheiden, ob die Geltendmachung des Pflichtteils auch noch nach dem Tod des Verpflichteten erfolgen kann, wenn der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Verpflichteten ist. Dies ist zu bejahen.

1. Erbschaftsteuerrechtlich entsteht die Steuer erst mit Geltendmachungdes Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Buchst. b ErbStG). Dementsprechend sind auch gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG nur Verbindlichkeiten aus einem geltend gemachten Pflichtteil als Nachlassverbindlichkeit abziehbar.

2. Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete, bevor der Pflichtteilsanspruch z.B. durch Erfüllung erloschen ist, geht die Pflichtteilsverbindlichkeit auf den Erben über. Eine abziehbare Nachlassverbindlichkeit setzt allerdings voraus, dass der Berechtigte seinen Pflichtteilsanspruch zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hat oder ihn nunmehr geltend macht. Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ist hinsichtlich der Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO). Voraussetzung ist allerdings, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs innerhalb der regelmäßig dreijährigen Verjährungsfrist (§§ 195, 202 BGB) erfolgt.

3. Ist der Pflichtteilsberechtigte der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten, führt dies zwar zivilrechtlich zum Erlöschen von Pflichtteilsanspruch und -verbindlichkeit durch Vereinigung von Forderung und Schuld (Konfusion). Erbschaftsteuerrechtlich entfaltet die Konfusion aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 10 Abs. 3 ErbStG hingegen keine Wirkung. Nach dem Sinngehalt des § 10 Abs. 3 ErbStG bleibt damit – jedenfalls innerhalb offener Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch – auch die Möglichkeit erhalten, gegenüber dem FA die Erklärung der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs abzugeben und damit den Anspruch auf den Abzug der Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit zu erlangen.

Ausdrücklich offen gelassen hat der BFH die nach wie vor umstrittene Frage, ob die vorstehenden Rechtsfolgen auch eintreten, wenn der Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt der entsprechenden Erklärung gegenüber dem FA bereits zivilrechtlich erloschen war.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.2.2013 – II R 47/11

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