Leitsatz

Seit dem 1.7.2014 genügt für die Zustellung einer im Beschlusswege erhaltenen einstweiligen Verfügung die Zustellung einer vom Gericht beglaubigten Abschrift des Titels. Bewirkt der Zustellungsbeamte die Zustellung entgegen der Vorschriften der ZPO fehlerhaft, so verletzt er eine ihm sowohl gegenüber dem Empfänger als auch dem Absender obliegende Amtspflicht. Eine mögliche Heilung des Zustellungsmangels beseitigt nicht die Amtspflichtverletzung, sondern kann sich allenfalls im Hinblick auf Eintritt und Umfang eines Schadens auswirken.

BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 – III ZR 115/18

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt den beklagten Freistaat unter dem Vorwurf der fehlerhaften Zustellung einer einstweiligen Verfügung im Amtshaftungswege auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin erwirkte bei dem Landgericht Saarbrücken am 18. August 2014 einen Beschluss auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den dortigen Antragsgegner M. G. Daraufhin beauftragte sie die im Dienst des Beklagten stehende Obergerichtsvollzieherin J. E. mit der Parteizustellung der Beschlussverfügung. In dem Zustellungsauftrag wurden als Anlagen "2 Ausfertigungen d. Beschlusses, 2 x Antragsschrift u. Anlagen, 1 Abschrift des Beschlusses" genannt. Die Zustellung an den Antragsgegner erfolgte per Post am 29. August 2014. Zwischen den hiesigen Parteien ist es streitig, ob der von der Gerichtsvollzieherin zusammengehefteten und beglaubigten Zustellsendung eine Ausfertigung oder lediglich eine einfache Abschrift (hier: eine weder vom Urkundsbeamten unterschriebene noch mit einem Gerichtssiegel versehene "Ausfertigung") der einst-weiligen Verfügung beilag. Am 22. Dezember 2014 beantragte der Antragsgegner bei dem Landgericht Saarbrücken die Aufhebung der einstweiligen Verfügung mit der Begründung, dass diese nicht ordnungsgemäß zugestellt und deshalb die einmonatige Vollziehungsfrist nach §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO versäumt worden sei. Das Landgericht Saarbrücken gab diesem Antrag statt und hob die einstweilige Verfügung auf.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Gerichtsvollzieherin habe die einstweilige Verfügung fehlerhaft – nämlich nur in einfacher Abschrift (oder als Kopie einer einfachen Abschrift) – zugestellt und hierdurch ihre Amtspflichten verletzt. Infolgedessen sei die einstweilige Verfügung wegen Versäumung der Vollziehungsfrist aufgehoben und sie, die Klägerin, mit den Verfahrenskosten belastet worden, welche sie als Schadensersatz zur Erstattung begehrt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Schadensersatzbegehren weiter.

Aus den Gründen

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner (unter anderem in DGVZ 2018, 208 veröffentlichten) Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Es könne dahinstehen, ob dem Antragsgegner G. eine Kopie (einfache Abschrift) oder eine Ausfertigung der einstweiligen Verfügung zugestellt worden sei. Die Zustellung einer bloßen Kopie (einfachen Abschrift) des Beschlusses wäre zwar nicht ordnungsgemäß gewesen. Im Hinblick auf die Neufassung von § 317 ZPO mit Wirkung ab dem 1. Juli 2014 habe eine vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beglaubigte Abschrift des Eilrechtstitels zugestellt werden müssen. Dieser etwaige Zustellungsmangel sei aber nach § 189 ZPO durch Zugang einer einfachen Abschrift der Beschlussverfügung geheilt worden. § 189 ZPO sei weit auszulegen und ermögliche auch die Heilung von Mängeln des zuzustellenden Dokuments. Entscheidend sei, dass – wie hier – dem Adressaten angemessene Gelegenheit verschafft werde, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und dabei zugleich dokumentiert werde, wann das Schriftstück bekannt gegeben worden sei. Gegen die Authentizität des Dokuments hätten vorliegend keine Bedenken aufkommen können, weil die Gerichtsvollzieherin das zuzustellende Dokument beglaubigt habe. Wenn der (etwaige) Zustellungsmangel aber geheilt worden und die einstweilige Verfügung somit fristgerecht vollzogen worden sei, fehle es an der Amtspflichtwidrigkeit. Dem stehe nicht entgegen, dass das Landgericht Saarbrücken die einstweilige Verfügung wegen Versäumung der Vollziehungsfrist aufgehoben habe, da dieses Urteil zwischen den Parteien dieses Prozesses keine Bindungswirkung entfalte.

II. 1. Diese Würdigung hält der rechtlichen Nachprüfung in einem maßgeblichen Punkt nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann eine Amtspflichtverletzung der Gerichtsvollzieherin nicht verneint werden.

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Zustellung einer im Beschlusswege erlassenen einstweiligen Verfügung seit dem 1. Juli 2014 durch Übermittlung einer vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beglaubigten Abschrift erfolgen kann.

aa) Seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 ZPO durch das Gese...

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