§ 2227 Hs. 2 Var. 1 BGB erfordert eine Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers, also eine Zuwiderhandlung gegen eine ihm obliegende Amtspflicht.[10] Die Zuwiderhandlung muss grob, d.h. von einigem Gewicht und schuldhaft begangen worden sein.[11]

Ist der Testamentsvollstrecker Organmitglied einer Gesellschaft des Nachlasses, kann er sich dabei nicht auf die Business Judgement Rule berufen. Zwar befindet sich der Testamentsvollstrecker insoweit in einer Doppelrolle, als er dem Nachlass – einschließlich zum Nachlass gehöriger Unternehmensbeteiligungen – als Fremdverwalter und der Gesellschaft als Organ vorsteht.[12] Allerdings überlagern die §§ 2216 Abs. 1, 2219, 2227 BGB das gesellschaftsrechtliche Haftungs- und Verantwortlichkeitsregime. Der Testamentsvollstrecker soll gerade keine riskanten unternehmerischen Entscheidungen treffen, sondern ist gem. § 2216 Abs. 1 BGB zur ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet.[13]

Gründe, die grundsätzlich geeignet sein können, einen Entlassungsgrund nach § 2227 BGB zu begründen, sind insbesondere die Verletzung der kraft Verfügung von Todes wegen oder Gesetzes (§§ 22152218 BGB) bestehenden Pflichten des Testamentsvollstreckers,[14] also bspw. der Pflicht zur Erstellung des Nachlassverzeichnisses oder zur Einreichung der Erbschaftsteuererklärung, ferner die Erteilung falscher Auskünfte gegenüber den Erben oder staatlichen Stellen.[15] Wann die Pflichtverletzung des Testamentsvollstreckers ausreichend schwer ist, um eine Entlassung rechtfertigen zu können, ist dabei eine Frage des Einzelfalls.[16] Typischerweise zu berücksichtigende Gesichtspunkte sind der Grad des Verschuldens,[17] die Auswirkungen auf den Nachlass sowie ggf. eine vorherige Abmahnung[18] des Testamentsvollstreckers durch die Erben. Überschreitet die Pflichtverletzung die Schwelle zur Strafbarkeit, wird man in der Regel jedenfalls dann von einem Entlassungsgrund auszugehen haben, wenn es sich um ein Delikt zulasten des Nachlasses – etwa in Gestalt der §§ 246, 263, 266 StGB – handelt.[19]

Straftaten außerhalb der Amtstätigkeit des Testamentsvollstreckers können eine Pflichtverletzung gegenüber dem Nachlass begründen, wenn ein Bezug zur Testamentsvollstreckung besteht oder wenn die Amtsstellung durch die Tat erheblich belastet wird.[20] Im Übrigen kann außerdienstliches deliktisches Verhalten zur Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung führen.[21]

Die grobe Pflichtverletzung muss in tatsächlicher Hinsicht feststehen.[22] Ein dringender Verdacht kann jedoch in entsprechender Anwendung der Grundsätze der Verdachtskündigung ebenfalls die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung begründen.[23]

[10] BeckOGK/Tolksdorf, § 2227 Rn 6.
[11] BeckOGK/Tolksdorf, § 2227 Rn 7.
[12] Vgl. hierzu Eichten, Der oHG-Anteil im Spannungsfeld von Erb- und Gesellschaftsrecht, S. 339 ff.
[13] Vgl. BGH NZG 2020, 751, 753 zum Insolvenzverwalter. A.A. Holler, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 9, 6. Aufl. 2021, § 33 Rn 176 ff., der jedoch ausdr. einen Vergleich zum Insolvenzverwalter zieht, die Entscheidung des BGH jedoch noch nicht verwertet hat. Ähnlich BayObLG FamRZ 1990, 1279; BayObLG FamRZ 1997, 905, 909 (Entlassung nur bei "besonders schwerwiegenden Verstößen").
[14] Lange, ErbR 2023, 2, 4.
[15] BGH NJW 2017, 2112, 2113, wo in Bezug auf die §§ 2215 ff. BGB von "kardinalen Pflichten" die Rede ist; BayObLG FamRZ 2002, 989, 990 zum Nachlassverzeichnis; BeckOGK/Tolksdorf, § 2227 Rn 6.
[16] MüKo-BGB/Zimmermann, Band 11, 9. Aufl. 2022, § 2227 Rn 7.
[17] Vgl. BayObLG FamRZ 2002, 989, 990.
[18] Vgl. BAG NZA-RR 2009, 362, 366: Abmahnung ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips (unter Verw. auf § 314 Abs. 2 BGB); Fleischer/Thüsing, Handbuch d. Vorstandsrechts, 2006, § 5 Rn 10; Gottwald/Haas/Vuia, Insolvenzrechts-Handbuch, § 14 Rn 151 für den Insolvenzverwalter. Siehe auch BayObLG FamRZ 2002, 989, 990, wonach bei der Würdigung der Schwere der Pflichtverletzung im Fall eines nicht vorgelegten Nachlassverzeichnisses berücksichtigt werden kann, ob die Erben den TV zur Vorlage aufgefordert haben.
[19] BGH NZI 2011, 282, 283 für den Insolvenzverwalter. BAG NZA 2010, 1227, 1230 zum Arbeitsrecht.
[20] Vgl. BAG NZA 2011, 112, 113 f.; BGH NZI 2011, 282, 283; Grigoleit, AktG, § 84 Rn 42.
[21] Siehe BAG NZA 2014, 1197 ff. zur personenbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers wegen einer außerdienstlichen Straftat.
[22] Vgl. BGH NZI 2006, 158; NZI 2009, 604, 605 für die Entlassung des Insolvenzverwalters.
[23] Siehe dazu sogleich unter II. 2. b.

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