Leitsatz (amtlich)

a) Die Entlassung des Insolvenzverwalters wegen ihm vorgeworfener Pflichtverletzungen setzt grundsätzlich voraus, dass die Tatsachen, die den Entlassungsgrund bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind.

b) Ausnahmsweise kann bereits das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die Verletzung von wichtigen Verwalterpflichten für eine Entlassung genügen, wenn der Verdacht im Rahmen zumutbarer Amtsermittlung nicht ausgeräumt und nur durch die Entlassung die Gefahr größerer Schäden für die Masse noch abgewendet werden kann.

 

Normenkette

InsO § 5 Abs. 1, § 59

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 26.11.2004; Aktenzeichen 12 T 5422/04)

AG Leipzig (Beschluss vom 19.08.2004; Aktenzeichen 92 IN 449/99)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Leipzig v. 26.11.2004 aufgehoben.

Die Sache wird - auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde der Rechtsbeschwerdeführer (i.F.: Beschwerdeführer) mit Beschluss des AG - Insolvenzgerichts - v. 12.5.1999 zum Insolvenzverwalter bestellt. Unter dem 23.5.2002 setzte das Insolvenzgericht gegen ihn ein Zwangsgeld von 1.000 EUR fest, um ihn zur Abgabe einer mehrfach angemahnten Ein- und Ausgabenrechnung anzuhalten. Dieser Beschluss wurde aufgehoben, weil der Beschwerdeführer die Rechnung innerhalb der Beschwerdefrist einreichte. Nachdem ihm das Insolvenzgericht unter dem 26.6.2002 angedroht hatte, ihn wegen "unangemessen verzögerter Erfüllung der Berichtspflicht" gem. § 59 InsO aus dem Amt zu entlassen, erstattete er am 15.8.2002 seinen Schlussbericht. Das Insolvenzgericht bat ihn mit Schreiben v. 19.8.2002 um Beseitigung verschiedener, einem ordnungsgemäßen Abschluss des Verfahrens entgegenstehender Hindernisse. Unter anderem bemerkte es, auf das Stammkapital der Schuldnerin von 50.000 DM seien 2.000 DM nicht erbracht worden; der Beschwerdeführer möge mitteilen, inwieweit er sich um die Beitreibung bemüht habe. Die sich anschließende Korrespondenz verlief nicht zur Zufriedenheit des Insolvenzgerichts. Mit Beschluss v. 6.1.2003 bestellte es gem. § 56 InsO Rechtsanwalt H. zum Sonderinsolvenzverwalter mit dem Auftrag, insb. festzustellen, ob sämtliche Vermögenswerte der Schuldnerin verwertet worden seien. Unter dem 29.7.2003 erstattete der Sonderinsolvenzverwalter seinen Bericht. Er kam zu dem Ergebnis, auf das Stammkapital der Schuldnerin seien mindestens 2.000 DM nicht einbezahlt worden. Darauf gerichtete Ansprüche wie auch anderweitig in Betracht kommende Anfechtungsansprüche seien nicht geltend gemacht worden und inzwischen teilweise verjährt. Der Beschwerdeführer wurde hierzu angehört.

Mit Beschluss v. 19.8.2004 hat das Insolvenzgericht den Beschwerdeführer gem. § 59 InsO aus seinem Amt entlassen und zugleich den Sonderinsolvenzverwalter zum neuen Insolvenzverwalter bestellt. Die sofortige Beschwerde des entlassenen Insolvenzverwalters hat das LG mit Beschluss v. 26.11.2004 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde.

II.

Das statthafte (§ 7 InsO, § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässige (§ 574 Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um einen wichtigen Grund für die Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Amt des Insolvenzverwalters anzunehmen.

1. Gemäß § 59 Abs. 1 S. 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter aus wichtigem Grund aus seinem Amt entlassen.

a) In Rechtsprechung und Schrifttum herrscht Uneinigkeit, wann ein solcher wichtiger Grund vorliegt. Teilweise wird die - auch vom Beschwerdegericht geteilte - Auffassung vertreten, hierfür genüge es, dass die begründete Besorgnis der Parteilichkeit oder der Pflichtwidrigkeit bestehe (Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 59 Rz. 12; Smid, InsO, 2. Aufl., § 59 Rz. 4 f.). Nach anderer Ansicht darf eine Entlassung nur ausgesprochen werden, wenn das Insolvenzgericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der Umstände gewonnen habe, die einen wichtigen Grund darstellen könnten; es reiche nicht aus, dass der Insolvenzverwalter lediglich den bösen Schein gesetzt habe (LG Halle/S. v. 22.10.1993 - 2 T 247/93, ZIP 1993, 1739; LG Magdeburg v. 21.10.1996 - 3 T 642/96, ZIP 1996, 2116 [2117 f.]; Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 59 Rz. 5; HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl., § 59 Rz. 10; Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, § 59 Rz. 7; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., Kap. 5, Rz. 65; Pape, EWiR 1993, 1203 [1204]). Nach einer vermittelnden Auffassung genügen konkrete Verdachtsgründe für Verfehlungen schwerster Art, so wenn die Gefahr bestehe, dass der Insolvenzverwalter größere Ausfälle der Gläubiger zu vertreten habe, oder bei dem Verdacht von gegen die Masse gerichteten oder anlässlich der Verwaltung begangener Straftaten (Graeber in MünchKomm/InsO, § 59 Rz. 14 ff.; Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 59 Rz. 4; Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 59 Rz. 12; Kind in FK-InsO, 3. Aufl., § 59 Rz. 10; Kind in Braun, InsO, 2. Aufl., § 59 Rz. 8).

Umstritten ist auch, ob ein wichtiger Grund gegeben ist, wenn das Verhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht in einem Maße gestört ist, dass an ein gedeihliches Zusammenarbeiten künftig nicht mehr zu denken ist (bejahend OLG Zweibrücken NZI 2000, 373 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 6.33; Graeber in MünchKomm/InsO, § 59 Rz. 19; Lüke in Kübler/Prütting, InsO, § 59 Rz. 4; Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, § 59 Rz. 7; HK-InsO/Eickmann, 3. Aufl., § 59 Rz. 3; Smid, § 59 Rz. 4; verneinend Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., Kap. 5, Rz. 64).

b) Im Grundsatz ist für die Entlassung des Insolvenzverwalters zu fordern, dass die Tatsachen, die den Entlassungsgrund bilden, zur vollen Überzeugung des Insolvenzgerichts nachgewiesen sind. Dies gilt insb. dann, wenn dem Insolvenzverwalter Pflichtverletzungen vorgeworfen werden.

Ein Insolvenzverwalter ist zu entlassen, wenn sein Verbleiben im Amt unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Verwalters die Belange der Gesamtgläubigerschaft und die Rechtmäßigkeit der Verfahrensabwicklung objektiv nachhaltig beeinträchtigen würde (Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., Kap. 5, Rz. 56). Diese Beeinträchtigung muss feststehen. Die Ausübung des Insolvenzverwalteramtes ist durch Art. 12 GG geschützt. Eingriffe sind nur zulässig, soweit sie durch höherwertige Interessen des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, nicht weiter gehen, als es erforderlich ist, und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Außerdem ist die in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegte Unschuldsvermutung auch von den Zivilgerichten zu beachten.

Die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht reicht niemals für die Entlassung des Ersteren aus, wenn sie lediglich auf persönlichem Zwist beruht. Hat die Störung ihren Grund in dem Verwalter vorgeworfenen Pflichtverletzungen, müssen diese grundsätzlich feststehen. Andernfalls würde ein bloßer Verdacht schon deshalb zur Entlassung ausreichen, weil das Insolvenzgericht ihn teilt. Dies wäre mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Berufstätigkeit des Insolvenzverwalters nicht zu vereinbaren.

Liegt eine Pflichtverletzung vor, die einen wichtigen Grund zur Entlassung des Insolvenzverwalters darstellt, darf das Insolvenzgericht von dieser zwar nicht lediglich deshalb absehen, weil die Gläubiger wegen der Pflichtverletzung den Verwalter nach §§ 60, 61 InsO auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können (Graeber in MünchKomm/InsO, § 59 Rz. 24). Umgekehrt ist jedoch nicht jede Pflichtverletzung, die einen Schadensersatzanspruch auslöst, zugleich ein wichtiger Grund zur Entlassung (Graeber in MünchKomm/InsO, § 59 Rz. 23). Diese setzt grundsätzlich voraus, dass es in Anbetracht der Erheblichkeit der Pflichtverletzung, insb. ihrer Auswirkungen auf den Verfahrensablauf und die berechtigten Belange der Beteiligten, sachlich nicht mehr vertretbar erscheint, den Verwalter im Amt zu belassen. Diese Beurteilung, die auf einer Abwägung aller jeweils bedeutsamen Umstände beruht, obliegt dem Tatrichter.

c) Ausnahmsweise kann bereits das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die Verletzung von wichtigen Verwalterpflichten für eine Entlassung genügen, wenn der Verdacht im Rahmen zumutbarer Amtsermittlung (§ 5 Abs. 1 InsO) nicht ausgeräumt und nur durch die Entlassung die Gefahr größerer Schäden für die Masse noch abgewendet werden kann. Ggf. müssen hier der Schutz der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) und die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) zurücktreten, weil der Insolvenzverwalter auch im öffentlichen Interesse tätig wird und Grundrechte der Gläubiger (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) gefährdet sind. Im Konfliktfall geht das Interesse der Gläubiger an der gleichmäßigen und bestmöglichen Befriedigung ihrer Forderungen dem Interesse des Insolvenzverwalters an der Beibehaltung seines Amtes vor (BVerfG v. 9.2.2005 - 1 BvR 2719/04, ZIP 2005, 537 [538]).

2. Die bisher getroffenen Feststellungen erfüllen die Voraussetzungen eines derartigen Ausnahmefalles nicht. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Insolvenzgericht zwischen dem 29.7.2003 (Erstattung des Berichts des Sonderinsolvenzverwalters) und dem 19.8.2004 (Entlassung des Beschwerdeführers) nicht hinreichend Zeit gehabt hat, um sich darüber schlüssig zu werden, ob die Pflichtverletzungen, von denen der Sonderinsolvenzverwalter berichtet hat, tatsächlich vorliegen oder nicht. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht die Entlassung - abgesehen von einer untauglichen pauschalen Bezugnahme auf die "darüber hinausgehenden Feststellungen des Sonderinsolvenzverwalters im Rahmen seines Gutachtens" - lediglich mit dem "erhärteten" Verdacht begründet, dass der Beschwerdeführer die Wirksamkeit der Einzahlungen von 2.000 DM und 22.000 DM auf die Stammeinlage bei der Schuldnerin nicht geprüft habe. Insoweit hatte der Sonderinsolvenzverwalter die Auffassung vertreten, dass die 2.000 DM nicht wirksam und die 22.000 DM nicht nachweisbar einbezahlt worden seien. Hinsichtlich des zuletzt genannten Betrages bedürfe es weiterer Aufklärung. Weshalb diese, die von Amts wegen geboten war (§ 5 Abs. 1 InsO), unterblieben ist, lässt sich dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Auf die unterlassene Beitreibung dieses Betrages darf die Entlassung deshalb nicht gestützt werden. Wegen des verbleibenden Betrages von 2.000 DM ist sie nicht gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer hat hierzu geltend gemacht, aus seiner Sicht sei es wirtschaftlich nicht sinnvoll, wegen eines derartigen Kleinstbetrages eine unsichere Forderung prozessual geltend zu machen, zumal ihm in anderen Prozessen Prozesskostenhilfe versagt worden sei. Zwar mag bei einer letztendlich realisierten Masse von etwa 5.500 EUR ein Betrag von 2.000 DM nicht ganz unerheblich sein. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Betrag bei zur Tabelle festgestellten Forderungen von 411.870,89 EUR nicht ins Gewicht fällt. Damit zeugt das Verhalten des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verfolgung des Kapitaleinzahlungsanspruchs für sich genommen nicht von einer derartigen Pflichtvergessenheit, dass seine Ablösung und die Fortsetzung des im Übrigen möglicherweise abschlussreifen Insolvenzverfahrens mit einem anderen Insolvenzverwalter geboten war.

3. Ob eine weitere Ausnahme für den Fall anzuerkennen ist, dass der Insolvenzverwalter den bösen Schein einer Befangenheit oder Interessenkollision gesetzt hat oder der Verdacht von gegen die Masse gerichteten Straftaten besteht, kann offen bleiben. Ein solcher Fall kommt hier nicht in Betracht.

III.

Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit die weiteren Entlassungsgründe geprüft werden, zu denen das Beschwerdegericht keine konkreten Ausführungen gemacht hat.

 

Fundstellen

DStZ 2006, 316

BGHR 2006, 543

NJW-RR 2006, 697

EWiR 2006, 315

WM 2006, 440

WuB 2006, 415

ZIP 2006, 247

DZWir 2006, 165

MDR 2006, 771

NZI 2006, 158

Rpfleger 2006, 220

ZInsO 2006, 147

ZVI 2006, 40

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge