Wie die Anteilsvereinigung soll auch die Steuerbarkeit der Übertragung von mehr als 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft, also jedweder grundbesitzenden Gesellschaft, Steuerpflicht auslösen.

Auch hier ist zu sehen, dass insbesondere bei dem zum 1.7.2021 neu eingeführten Tatbestand für Anteile an Kapitalgesellschaften nach § 1 Abs. 2b GrEStG vielfach Befreiungen nicht gelten. Z.B. werden die personengebundenen Befreiungen u.a. nach § 3 Nr. 6 GrEStG nicht angewendet. Das gilt auch dann, wenn es nicht um den Übergang einer Gesellschaft handelt. Betroffen sind überraschenderweise auch für Fälle, in denen z.B. der Anteil einer bloßen Kapitalgesellschaft ausschließlich Steuerobjekt der Übertragung zwischen zwei natürlichen Personen (etwa Elternteil und Kind, also in gerader Linie) ist.[63]

 

Beispiel:

A ist an einer GmbH mit Immobilienbesitz als alleiniger Gesellschafter mit 100 % beteiligt. Er möchte diese Beteiligung seiner Tochter T unter Nießbrauchsvorbehalt für sich, ggf. bei Überleben seiner Ehefrau, schenken bzw. ggf. zunächst teilweise schenken und spätestens im Todesfall testamentarisch zuwenden.

Leider lässt sich eine Grunderwerbsteuerauslösung für den entgeltlichen Teil der Übertragung nicht vermeiden.

Überträgt der Schenker S in einem Schritt 100 % der Anteile, gilt seit 1.7.2021 nach § 1 Abs. 2b GrEStG dies als Übertragung von mehr als 90 % der Anteile an der GmbH. Nach herrschender Meinung im Schrifttum und vor allem nach Auffassung der Finanzverwaltung[64] greift keine Befreiung in gerader Linie (§ 3 Nr. 6 GrEStG), obwohl hier Anteile nur übertragen werden zwischen natürlichen Personen. Das sonst angeführte Argument, z.B. beim Übergang auf eine Kapitalgesellschaft Befreiungen zu verneinen, weil der Kapitalgesellschaft nicht die persönlichen Eigenschaften natürlicher Personen zugerechnet werden können, kann hier nicht greifen. Durch § 3 Nr. 2 GrEStG ist der entgeltliche Teil nicht befreit.

Ein Ausweichen über eine Aufspaltung in zwei Vorgänge, z.B. eine Schenkung von 85 % (weniger als 90 %) und später eine todesbedingte vermächtnisweise Zuwendung von 15 %, hilft nicht. Zwar lässt sich § 1 Abs. 2 GrEStG dadurch vermeiden, weil der Erwerb von Todes wegen nicht tatbestandlich erfasst ist und deshalb die 90 %-Grenze nicht nach dieser Vorschrift überschritten werden kann.

Es greift jedoch eine Anteilsvereinigung bei der Tochter nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Hierbei ist der Erwerb von Todes wegen nicht tatbestandlich ausgenommen und bei der erstmaligen Anteilsvereinigung nach Nr. 1 (anders als bei Übertragung vereinigter Anteile nach Nr. 3, s.o.) greift wieder keine personenbezogene Befreiungsvorschrift. Es besteht jetzt sogar das Risiko, dass der nach § 3 Nr. 2 GrEStG entlastete Teil des Rechtsgeschäfts nur nach dem durch Schwellenüberschreitung die Anteilsvereinigung konkret auslösenden Letzterwerb berechnet wird.

Außer durch die Beteiligung einer zweiten Person auf Erwerberseite, um der Anteilsvereinigung i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auszuweichen, und zwar von Todes wegen, um der lebzeitigen Übertragung von 90 % der Anteile nach § 1 Abs. 2b GrEStG auszuweichen, kann der Steuerpflicht des entgeltlichen Teils nicht ausgewichen werden.

[63] GLE v. 10.5.2022, BStBl I 2022, 821; Meßbacher-Hönsch, in: Viskorf, GrEStG, 20. Aufl. 2021, § 1 Rn 964 und § 3 Rn 50; Dorn/Nießmann, DStR 2022, 1998, 1992; offenlassend Böing/Berke, in: Behrens/Wachter, GrEStG, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn 8.1; ablehnend Lange, DStR 2019, 2348, 2351.
[64] Ländererlasse v. 10.5.2022, BStBl I 2022, 821, Tz. 9; Meßbacher-Hönsch, in: Viskorf, GrEStG, 22. Aufl. 2021, § 1 Rn 964 o. § 3 Rn 50; Dorn/Nießmann, DStR 2022, 1988, 1992; offen Böing/Berke, in: Behrens/Wachter, GrEStG, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn 8.1; ablehnend Lange, DStR 2019, 2348, 2351.

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