Der folgende Beitrag zeigt nach der Darstellung der Grundlagen die Chancen und Probleme der Durchsetzung des Rechts des Pflichtteilsberechtigten auf Anwesenheit nach § 2314 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB auf.

Faktisch und rechtlich steht der Pflichtteilsberechtigte außerhalb des Nachlasses. Eine eigene Sichtung, Prüfung und Bewertung des Nachlasses wird ihm von Gesetzes wegen nicht zugestanden.[1] Stattdessen hat der Pflichtteilsberechtigte gegen den Erben einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des tatsächlichen und fiktiven Nachlasses nach § 2314 Abs. 1 BGB. Meist kann sich der Pflichtteilsberechtigte nur so einen Überblick für die Ermittlung der Pflichtteilsforderung verschaffen. Zu der korrespondierenden Norm des § 1988 BGB aF unterstrichen die Motive: "Die Verwirklichung des Pflichtteilsanspruchs würde in vielen Fällen kaum ausführbar sein, wenn nicht dem Erben eine Auskunftspflicht über den Bestand des Nachlasses auferlegt würde."[2]

Die größte Beachtung findet in diesem Zusammenhang das einfache private Bestandsverzeichnis nach § 2314 Abs. 1 S. 1, 260 BGB. Die Akzeptanz des Inhalts solcher Verzeichnisse ist oft jedoch eher gering. Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft werden angezweifelt und bei Vorliegen der Voraussetzungen durch die Forderung nach einer eidesstattlichen Versicherung auf den Prüfstand gestellt. Bloße Zweifel reichen aber zur Begründung dieses Zusatzanspruchs nicht. Vielmehr muss der Pflichtteilsberechtigte darlegen, dass Grund zu der Annahme besteht, dass das vorgelegte Verzeichnis unvollständig ist und dies auf mangelnder Sorgfalt des Auskunftspflichtigen beruht.[3] Zu Recht spricht van der Auwera von einem "stumpfen Schwert".[4] Der Grund zu dieser Annahme ist nämlich im Bestreitensfalle ohne den bislang gerade nicht erlangten nötigen Überblick über den Nachlass darzulegen und zu beweisen.

In der Praxis ist es trotzdem die Regel, dass der Pflichtteilsberechtigte – gleich ob anwaltlich vertreten oder nicht – zunächst das Verzeichnis durch den Erben erstellen lässt. Erst bei Zweifeln oder Streit wird nach weitergehenden Kontrollmöglichkeiten gesucht. Falls der Pflichtteilsberechtigte vom Erben nicht ausnahmsweise die Ergänzung oder die Neuerstellung des Verzeichnisses fordern kann, wird er von ihm oftmals die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses fordern. Die Ansprüche auf Vorlage eines privaten und eines amtlichen Nachlassverzeichnisses bestehen nebeneinander.[5] Der eine Anspruch erlischt nicht bei Erfüllung des anderen. Doch auch solche Verzeichnisse stützen sich trotz der in ihrer Reichweite im Ermessen des Notars stehenden eigenen Ermittlungspflicht überwiegend oder gar vollständig auf die Angaben des Erben. Spätestens bei Vorlage dieses Verzeichnisses hat der Pflichtteilsberechtigte eine wichtige, für ihn nicht zu unterschätzende Kontrollmöglichkeit verschenkt: Grundsätzlich kann er nach § 2314 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB auf Anwesenheit bei der Erstellung des Bestandsverzeichnisses bestehen. So hat er beispielsweise die Möglichkeit, den "alten Sessel, mindestens 30 Jahre alt, Wert (geschätzt): 0,– EUR" als Designklassiker oder das "Bild mit Stadtansicht, Maler, Herstellungs- und Anschaffungsdatum unbekannt, Wert (geschätzt): 15,– EUR" als echtes Kunstwerk zu identifizieren. Nahezu unstreitig ist aber, dass der Auskunftsanspruch an sich nicht bereits durch Erfüllung erloschen sein darf.[6]

[1] Sarres, Ernst, Erbrechtliche Auskunftsansprüche, München 2004, Rn 83.
[2] Mugdan, Benno, Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 5, Berlin 1899, S. 217, S. 409 Rn 5.
[3] BGH NJW 1984, 2822; OLG Zweibrücken FamRZ 1969, 230, 231; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1993, 1483.
[4] Van der Auwera, ZEV 2008, 359.
[5] OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1236, 1239; Coing, NJW 1983, 1298.
[6] HM Haas, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Neubearbeitung 2006, Berlin, § 2314 Rn 43; aA allerdings ohne Angaben von Gründen; Lindner, in: Frieser, Kompaktkommentar Erbrecht, Neuwied 2007, § 2314 Rn 21.

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