1

Das notarielle Nachlassverzeichnis ist ein Dauerbrenner in Literatur und Rechtsprechung. Während der reale und fiktive Nachlass sowie die Ermittlungstätigkeit des Notars mit großer Regelmäßigkeit Gegenstand von Urteilen, Aufsätzen und Beiträgen sind, wurden die besonderen Leistungen eines Abkömmlings nach § 2057a BGB bisher kaum in den Blick genommen. Dies verwundert insoweit, als die Leistungen nach § 2057a BGB sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Erben bzw. des pflichtteilsberechtigten Nichterben wirken und damit unmittelbar Einfluss auf die Berechnung des konkreten Pflichtteilsanspruchs haben.

I. Das notarielle Nachlassverzeichnis

Das notarielle Nachlassverzeichnis gehört mittlerweile zum "Goldstandard" in der pflichtteilsrechtlichen Auseinandersetzung. Der BGH hat jüngst zu den Anforderungen an die notarielle Tätigkeit im Zusammenhang mit der Errichtung eines Nachlassverzeichnisses Stellung nehmen können. Der BGH stellt in seinem Urt. v. 20.5.2020[1] ausdrücklich klar, dass der Notar unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, welche konkreten Ermittlungen er zum Nachlassbestand vornimmt. Der Notar ist im Rahmen der Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens dazu verpflichtet, selbst und eigenständig den tatsächlichen und fiktiven Nachlassbestand zu ermitteln.[2] Er muss das ihm zukommende Ermessen erkennen und selbst ausüben. Art und Umfang der Ermittlungen sollte der Notar im Nachlassverzeichnis dokumentieren.[3] Bemerkenswert ist, dass der BGH in seiner Entscheidung vom 20.5.2020 ausdrücklich die Rechtsprechung des OLG Koblenz in Bezug[4] nimmt. Hieraus dürfte zu schließen sein, dass der Notar daher die in Betracht kommenden Ermittlungsansätze vollständig auszuschöpfen muss,[5] da andernfalls das von ihm errichtete Verzeichnis keine Erfüllungswirkung haben kann. Der Notar steht also vor einer anspruchsvollen, zeitaufwändigen und nicht einfach zu erfüllenden Aufgabe.

Der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB soll den Pflichtteilsberechtigten befähigen sich einen vollständigen Überblick über den Umfang des Nachlasses des Verstorbenen und über die Höhe seines Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen.[6]

Das notarielle Nachlassverzeichnis muss vollständig sein. Es sind daher alle Vermögenswerte und Gegenstände aufzuführen, die für den Informationszweck des Verzeichnisses von Bedeutung sind. Im Fall des Verzeichnisses nach § 2314 BGB sind daher neben den Vermögenswerten im Zeitpunkt des Erbfalls (realer Nachlass) auch der sogenannte fiktive Nachlass mit aufzunehmen, soweit der pflichtteilsberechtigte Nichterbe seinen Auskunftsanspruch auch insoweit geltend gemacht hat. Zum fiktiven Nachlass gehört jede pflichtteilsrelevante Schenkung des Erblassers sowie ergänzungs- und ausgleichspflichtige Zuwendungen nach den §§ 2316 Abs. 1, 2052, 2055 Abs. 1 BGB einschließlich der Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten selbst.[7] Nach § 2316 Abs. 1 BGB sind auch die in § 2057a BGB genannten Leistungen bei der Berechnung des konkreten Pflichtteilsanspruchs zur Ausgleichung zu bringen. Die Auskunft des Erben nach §§ 2314, 260 BGB sowie die korrespondierende Auskunft des pflichtteilsberechtigten Nichterben hat sich – soweit es sich insoweit um Abkömmlinge handelt – auch auf etwaige Leistungen nach § 2057a BGB zu beziehen.

[1] BGH 20.5.2020 – IX ZR 193/19, BeckRS 2020, 11000.
[3] Schönenberg-Wessel, Nachlassverzeichnis-HdB, 1. Aufl. 2020 § 26 m.w.N.
[6] Schönenberg-Wessel, Nachlassverzeichnis-HdB, 1. Aufl. 2020 § 1 Rn 12.
[7] Braun, MittBayNot 2008, 351.

II. Leistungen nach § 2057a BGB

§ 2057a BGB schafft einen Ausgleich zugunsten derjenigen Abkömmlinge des Erblassers, die den Erblasser in besonderer Weise unterstützt haben. Der Ausgleich nach § 2057a BGB ist nur dann ausgeschlossen, wenn ein solcher Ausgleich bereits zu Lebzeiten des Erblassers erfolgt ist. Der Gesetzgeber berücksichtig hierdurch Zuwendungen der Abkömmlinge an den Erblasser.[8]

Nach § 2316 BGB sind die besonderen Leistungen der Abkömmlinge nach § 2057a BGB auch bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs anzuwenden, und zwar nicht nur zulasten, sondern auch zugunsten des oder der Erben. Der Pflichtteilsberechtigte soll nicht weniger, aber auch nicht mehr als die Hälfte desjenigen erhalten, was er im Falle gesetzlicher Erbfolge zu beanspruchen hätte.[9]

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB knüpft an den nach §§ 2316, 2057a BGB zu ermittelnden Pflichtteil an.[10] Es handelt sich damit bei den Leistungen des Abkömmlings nach § 2057a BGB um Gegenstände, die für den Informationszweck des Verzeichnisses von Bedeutung sind. In das (notarielle) Nachlassverzeichnis sind damit die berücksichtigungsfähigen Leistungen eines Abkömmlings nach § 2057a BGB aufzunehmen, soweit diese über die Leistungen anderer Abkömmlinge deutlich hinausgehen[11] und b...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge