Christian Tombrink, Richter am BGH und Vorsitzender des Vereins der Bundesrichter und Bundesanwälte hielt 2017 – anlässlich des 8. ZPR-Symposiums der Bundesrechtsanwaltskammer – einen Vortrag zu dem Thema "Der Zivilprozess im Wettbewerb der Methoden aus Sicht der Justiz" (nachzulesen in: BRAK-Mitteilungen 2017, 152 ff.). Gegen dessen Fazit, dass die Ziviljustiz keine Konkurrenz zu fürchten brauche, eine Verbesserung räumlicher, personeller und sachlicher Ausstattung jedoch zu noch schnellerer, gründlicherer und würdevollerer Aufgabenerledigung führen würde, ist nichts einzuwenden. Interessant ist allerdings der dargestellte Rückgang der Eingangszahlen beim Amtsgericht (zwischen 1995 und 2015 ca. 37 %). Beim Landgericht in der 1. Instanz ist der Rückgang seit 2006 zu beobachten und beträgt etwa 22 %. Bei Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile beträgt der Rückgang 50 %, gegen landgerichtliche Urteile 27 %.

Ebenso lohnend ist es, sinkende Prozesszahlen aus Sicht der Anwaltschaft zu beleuchten, d.h. vor dem Aspekt der zahlenmäßigen Entwicklung der Anwaltschaft einerseits und der Einkommensentwicklung andererseits. Die Einkommensentwicklung wird in dem sog. STAR-Bericht veröffentlicht. Die Zahlen für die Jahre 2010–2013 sind in 2017 (BRAK-Mitteilungen 2017, 14 ff.), für die Jahre 1993–2010 in 2013 (BRAK-Mitteilungen 2013, 155) veröffentlicht worden. Die Publikationen stellen u.a. die Jahre 1995 und 2013 beispielhaft dar, so dass diese hinsichtlich des durchschnittlichen persönlichen Jahresüberschusses in Einzelkanzleien verglichen werden können. Für den Allgemeinanwalt ergibt sich folgendes Bild:

 
Jahr: Anwälte Eingangszahlen Jahresüberschuss
AG LG II. Instanz LG I. Instanz OLG II. Instanz
1995: 74.291 1.751.448 98.217 418.807 64.269 63.000 (West) bzw. 44.000 (Ost)
2013: 160.880 1.138.419 55.374 358.792 51.363 65.000 (West) bzw. 46.000 (Ost)

Die Zahlen sind ernüchternd. Die Zivilprozesse haben sich erheblich verringert, während sich die Zahl der Anwälte verdoppelt hat. Es teilen sich also die doppelte Zahl von Anwälten weit weniger Prozesse. Wie der stagnierende Jahresüberschuss nahelegt, ist es auch nicht gelungen, durch Verfahren in anderen Gerichtsbarkeiten oder Tätigkeitsfeldern die finanziellen Konsequenzen des Rückgangs der Zivilverfahren angemessen zu kompensieren. Das führt zu der Frage, ob die RVG-Sätze zeitgemäß oder angemessen sind – meines Erachtens sind sie es nicht.

Bei einem Streitwert von 1.000.000 EUR (statistisch ein Glücksfall und eine große Ausnahme), erhält der Anwalt für ein Verfahren in 1. Instanz ein Nettohonorar von 11.802,50 EUR. Zum Vergleich: Ein amerikanischer Anwalt erhielte bei den dort nicht unüblichen "contingent fees" einen Anteil zwischen 300.000 EUR und 500.000 EUR. Mit anderen Worten: Selbst das große Glück, einmal einen "großen Fall" zu haben, fällt für den deutschen Prozessanwalt monetär kaum ins Gewicht, während er in den USA einen erheblichen Sprung nach vorne bedeutet.

Auch zu contingent fees werden irrige Annahmen vertreten. Wenn Winand Emons, Professor für Wirtschaftstheorie der Universität Bern, der Ansicht ist, dass contingent fees u.a. dazu führen, dass der schlechte Anwalt weniger Anreiz hierfür hätte als der gute Anwalt, weil der schlechte Anwalt geringere Chancen hätte, den Prozess zu gewinnen (Die Volkswirtschaft 11/2016, S. 39), geht das an der Realität vorbei – ganz zu schweigen davon, dass es keinen Anwalt gibt, der sich in der Selbstbetrachtung als schlechten Anwalt wahrnimmt und Sorge hat, ob der Prozess mit seiner Qualität gewonnen werden kann.

Damit soll nicht behauptet werden, dass grundsätzliche Erfolgsbeteiligungen für Deutschland richtig, besser oder angemessen wären, sondern nur, dass die RVG-Gebühren unangemessen niedrig sind.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass das Jahr 1995 für den Einzelanwalt ein erfolgreiches Einkommensjahr war. 1994 bzw. 1996 ergab sich ein geringerer Jahresüberschuss von 53.000 EUR (West 1994) und 39.000 EUR (Ost 1994) bzw. 55.000 EUR (West 1996) und 51.000 EUR (Ost 1996), so dass eine gewisse nominelle Einkommenssteigerung zum Jahr 2013 erkennbar war. Das ändert aber nichts an der These der Stagnation. Nimmt man eine durchschnittliche Inflationsquote von 2 % p.a. an, was realistisch ist, hätte es in den 18 Jahren von 1995 bis 2013 einen nominellen Einkommenszuwachs von 42 % geben müssen, um keinen realen Einkommensverlust zu erleiden. Damit ist jedenfalls für den Einzelanwalt ein erheblicher realer Einkommensverlust Bestandteil der wirtschaftlichen Realität.

Colorandi causa sei darauf verwiesen, dass das durchschnittliche Einkommen der niedergelassenen Ärzte 2014 um 6,7 % über dem Wert von 2011 lag und bereits zwischen 2007 und 2011 um 21 % gestiegen ist (Quelle: www.aerzteblatt.de ).

1994 hat Hilmar Kopper, der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, offene Handwerkerrechnungen i.H.v. 50.000.000 DM als Peanuts bezeichnet. "Peanuts" ist zum Unwort des Jahres 1994 erklärt worden. Ebenso wie es unverständlich ist, 50 Mio. DM ...

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