Die Entscheidung des BGH mag zwar einen Beitrag zur Rechtssicherheit leisten, ist dabei aber nicht ganz widerspruchsfrei. So betont der Senat insbesondere die strukturellen Unterschiede zwischen Steuerhinterziehung und Betrug, orientiert sich dann aber bei der Festlegung der Wertgrenze genau an der des Regelbeispiels des Betrugs, wo doch – gerade umgekehrt – eine unterschiedlich hohe Schwelle des "großen Ausmaßes" dann eigentlich nahegelegen hätte. Dies gilt umso mehr, wenn mit dem BGH für die Steuerhinterziehung bereits eine Vermögensgefährdung ausreichen soll, weil diese regelmäßig auch in einen fiskalischen Schaden einmünde, was aber bereits vor dem Hintergrund des sog. Kompensations- oder Vorteilsausgleichverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO (dazu: Roth ZAP F. 21, S. 288 f.; Bülte NZWiSt 2016, 1 ff.) angreifbar erscheint.

Unsicherheit hervorrufen dürfte die Entscheidung aber vor allem wegen ihres Schweigens zum möglichen Vertrauensschutz derjenigen, die von der bis dahin geltenden Wertgrenze i.H.v. 100.000 EUR bei bloßer "Steuergefährdung" ausgegangen waren und darauf aufbauend ihre Dispositionen in Richtung Selbstanzeige getroffen haben. War für sie der aktuelle Richtungswechsel des BGH vorhersehbar? Immerhin fordert auch das BVerfG, dass sich eine rückwirkend belastende Änderung der Rechtsprechung im Strafrecht zumindest im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung halten und dabei ausreichend begründet sein muss (vgl. Beschl. v. 26.9.2011 – 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669; v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248).

Daran, ob der BGH diesen Anforderungen genügt hat, kann man aber durchaus zweifeln (so auch Stahl kösdi 3/2016, 19731 f.) und dieser Umstand sollte deshalb schon die Finanz-/Strafbehörden dazu veranlassen, offene Fälle unter Berücksichtigung eines wiederauflebenden Selbstbelastungsverbots der Steuersünder jetzt "geräuschlos" mittels Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO endgültig abzuschließen.

Bearbeiter: Rechtsanwalt Mark T. Singer, Neuss

ZAP 9/2016, S. 501 – 502

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