Die Belastung der Ziviljustiz durch Massenverfahren hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Ein Beispiel hierfür sind die Dieselverfahren, die bundesweit die Gerichte vor große Herausforderungen stellen. Denn jedes Verfahren muss jeweils gerichtlich geprüft, verhandelt und entschieden werden. Vielfach haben deshalb bereits die betroffenen Gerichte Entlastung gefordert, manche versuchen sogar, die Eingangsflut mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) zu bewältigen (vgl. etwa ZAP 2022, 1145). Sie haben damit eine Debatte angestoßen, der sich auch der Gesetzgeber nicht verschlossen hat: Erst kürzlich hat das Bundesjustizministerium – u.a. mit Blick auf solche Massenverfahren – einen Gesetzentwurf zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten (vgl. dazu ZAP 2023, 7 f.) sowie einen Gesetzentwurf zur Einführung von Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (vgl. dazu ZAP 2023, 211) vorgelegt.

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat sich jetzt mit einer Stellungnahme zu diesem Thema zu Wort gemeldet. Darin wirft sie u.a. Fragen auf und äußert auch Kritik – etwa an den geplanten Erleichterungen zum Ausschluss der Öffentlichkeit oder einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne Zustimmung der Parteien.

Die BRAK betont in ihrer Stellungnahme, dass sie sich durchaus der Tatsache bewusst ist, dass einzelne Gerichte durch Massenverfahren stark in Anspruch genommen werden. Dies sei allerdings weder durch die Anwaltschaft verursacht und noch dürfe es zum Anlass genommen werden, prozessuale Grundsätze zu verkürzen oder zu verwässern. Ihre Anforderungen an die Neugestaltung gerichtlicher Massenverfahren fasst die Kammer in folgenden Punkten zusammen:

  • Erforderlich sei ein schlüssiges Gesamtkonzept, wie das Phänomen Massenschäden und die daraus folgenden Klagen von der Justiz in einem praktikablen, aber gleichzeitig auch rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahren bewältigt werden können. Inzwischen sei dieses Thema seit Jahren Gegenstand der (wissenschaftlichen) Diskussion und auch bereits mehrerer Regelungsversuche.
  • In diesem Zusammenhang müssten entsprechende Daten erhoben und erforderliche Statistiken (Wie viele Massenverfahren gibt es? Bei welchen Gerichten gehen diese ein? Wie viele werden durch Klage- oder Berufungsrücknahme erledigt und wie viele durch Versäumnis-, Anerkenntnis- und/oder Endurteil entschieden?) veröffentlicht und vorgelegt werden. Zudem stelle sich die Frage, wie die Untersuchung zum Rückgang der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten mit einer Überlastungssituation zusammenpasse.
  • Vorabentscheidungsverfahren beim Revisionsgericht und Aussetzungsmöglichkeit für Folgeverfahren seien zu befürworten.
  • Die Möglichkeit, in Massenverfahren auch ohne Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, sei abzulehnen; dies gelte auch für eine Konzentration der Beweisaufnahme.
  • Rechtsstaatlich höchst bedenklich sei ein leichterer Ausschluss der Öffentlichkeit zur schnelleren Bearbeitung von Massenverfahren. Der Grundsatz der Öffentlichkeit sei eine fest verankerte Prozessmaxime (Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 S. 2 IPbpR).
  • Die Einführung des elektronischen Basisdokuments im Rahmen eines strukturierten Parteivortrags wird abgelehnt, gleichermaßen eine Beschränkung des Umfangs und/oder der Anzahl der Schriftsätze.

Eine Entlastung der Justiz, so die BRAK, dürfe am Ende nicht auf Kosten des Verbrauchers gehen, etwa durch Einschränkung der Verfahrensgrundsätze oder durch Verkürzung des Instanzenzugs. Auch verböten sich Eingriffe in die Berufsausübung der Anwaltschaft. Es müsse der Eindruck vermieden werden, dass die Parteien eines Prozesses sich nur noch als Objekt des Verfahrens verstanden sehen, nicht aber als verantwortlich handelnde Subjekte.

[Quelle: BRAK]

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