Nach der Fassung des SGB II geht die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit bestimmten Pflichten der Leistungsberechtigten einher. Bei Verletzungen dieser Pflichten müssen die Jobcenter die Leistungen nach den §§ 3132 SGB II absenken.

Hinsichtlich der verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung der Absenkung gab es die verbreitete Auffassung, dass es ausreiche, die Pflichtverletzung festzustellen. Angesichts des Wortlauts von § 31b Abs. 1 S. 1 SGB II (ggf. i.V.m. § 32 Abs. 2 S. 2 SGB II) und der Gesetzesmaterialien, nach denen sich der Leistungsanspruch kraft Gesetzes mindert, sei keine ausdrückliche Aufhebung für bestandskräftiger Bewilligungsbescheide erforderlich (Groth in: Groth/Luik/Siebel-Huffmann, Das neue Grundsicherungsrecht, 2011, § 13, Rn 421; Lauterbach in: Gagel, SGB II/SGB III, K § 31b SGB II, Rn 2; Berlit in: LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 31b, Rn 4). Das BSG erklärt diese Auffassung nunmehr deutlich für unzutreffend (BSG, Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, Rn 16 ff.). Nach der seit 1.4.2011 geltenden Rechtslage sind – so das BSG – nun zwei Verwaltungsakte (VA) erforderlich: Ein VA über die Feststellung der Pflichtverletzung nach §§ 31 oder 32 SGB II und ein VA über die Absenkung bereits bewilligter Leistungen nach § 48 SGB X. Allerdings können diese VA in einem Bescheid verbunden werden. Beide können gesondert angefochten werden. Präventiv stellt das BSG weiter klar, dass dann, wenn nur der Feststellungs-VA, nicht aber der Umsetzungs-VA erfolgreich angefochten worden sein sollte, die Jahresfrist des § 44 Abs. 4 i.V.m. § 48 Abs. 4 SGB X einer rückwirkenden Leistungsbewilligung nicht entgegenstehe, weil die beiden VA so eng aufeinander bezogen seien.

In materieller Hinsicht stellt das BSG fest, dass seit 1.4.2011 bei wiederholten Meldeversäumnissen – im Unterschied zu anderen Pflichtverletzungen und zur früheren Rechtslage (hier bezieht sich das BSG auf seine frühere Entscheidung v. 9.11.2010 – B 4 AS 27/10 R) – eine weitere Absenkung um 10 % nicht die vorhergehende Feststellung der ersten Pflichtverletzung erfordern (BSG, Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, Rn 40).

Voraussetzung ist allerdings, dass das Jobcenter sein Ermessen bei der Erstellung der Meldeaufforderungen zutreffend ausgeübt hat. Dabei liegt kein Ermessensfehler darin, dass Meldeaufforderungen in großer Dichte (ein Mal wöchentlich) erfolgen, wohl aber, wenn mehr als drei gleichlautende Meldeaufforderungen innerhalb eines Monats ohne weitere Überlegungen erfolgen. Das Jobcenter müsse sich stets davon leiten lassen, dass die Meldeaufforderung ein Instrument des Förderns sei und Sanktionen keinen Strafcharakter hätten, sondern dazu dienen sollten, die Leistungsberechtigten dazu anzuhalten, ihre Obliegenheiten aus dem Sozialrechtsverhältnis zu erfüllen (BSG, Urt. v. 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R, Rn 44 ff.) Im konkreten Fall hatte das Jobcenter sieben gleichlautende Meldeaufforderungen kurz hintereinander versandt.

 

Hinweise:

  • In der Praxis werden Meldeaufforderungen oft kaum begründet. Das BSG wiederholt im jüngsten Urteil die h.M., dass eine Ermessensunterschreitung vorliegt, wenn "zwar Ermessenserwägungen angestellt werden, diese indes unzureichend sind, weil sie z.B. nur aus formelhaften Wendungen bestehen" (Rn 37). Legt man diesen Maßstab an, dürften zahlreiche Meldeaufforderungen aus der Praxis ermessensfehlerhaft sein. Es kann daher naheliegen, Sanktionsbescheide wegen einer Meldeaufforderung mit der Begründung anzugreifen, die Meldeaufforderung seien ermessensfehlerhaft erfolgt. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das BSG diese Strenge gleich wieder zurücknimmt und etwa nicht fordert, dass alle Zwecke, deretwegen die Meldeaufforderung ergeht, genannt werden müssen.
  • Hinsichtlich der Höhe der Minderung billigt es das BSG, dass die ersten drei Sanktionsbescheide gem. §§ 31a, 31b SGB II zu einer Verminderung der Regelleistung um 30 % führen. Zwar sei das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, welches das BVerfG im Regelsatzurteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) entwickelt hat, dem Grunde nach unverfügbar und stehe nicht zur Disposition des Gesetzgebers, es sei jedoch Konkretisierungen durch gesetzliche Regelung zugänglich. Von dieser Auffassung abweichend hält das SG Gotha die Kürzung des Regelbedarfs bei Sanktionen für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorgelegt (SG Gotha, Beschl. v. 26.5.2015 – S 15 AS 5157/14).

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