1. Elterliche Sorge

a) Erfordernis der Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft

Das OLG Brandenburg (FamRZ 2014, 1856) bekräftigt die Auffassung (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 354; BGH FamRZ 2011, 796), dass die gemeinsame elterliche Sorge ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern in den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge erfordert und sie sich am Kindeswohl auszurichten hat.

Die Eltern müssen für die Wahrnehmung gemeinsamer elterlicher Verantwortung in der Lage sein, einen sach- und kindeswohlorientierten Diskurs zu führen. Kindern darf nicht zugemutet werden, erhebliche emotionale Konflikte der Eltern ertragen zu müssen, in die ein Kind zwangsläufig einbezogen wird (OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1653). Die Herstellung der gemeinsamen Sorge nach § 1626a BGB bei nicht miteinander verheirateten Eltern kommt daher nicht in Betracht bei nachhaltig gestörter Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft.

Für eine Übertragung der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB reichen Verständigungsprobleme der Eltern noch nicht aus, wohl aber die nachhaltige Beeinträchtigung des Kindeswohls aufgrund einer Einigungsunfähigkeit (OLG Stuttgart FamRZ 2014, 1715).

Zu der Thematik der elterlichen Kommunikationsprobleme vgl. KG FamRZ 2014, 1375; OLG Schleswig FamRZ 2014, 1374; OLG Nürnberg FamRZ 2014, 572 und OLG Celle FamRZ 2014, 857.

b) Abänderung der ablehnenden Mitsorgerechtsentscheidung

Wurde die gemeinsame elterliche Sorge in der Ausgangsentscheidung aufgrund fehlender Kommunikationsfähigkeit der Eltern abgelehnt, kann nach Auffassung des OLG Frankfurt (FamRZ 2014, 1120 = FamRB 2014, 250 m. Hinw. Giers) im Abänderungsverfahren die Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht als geeignetes Instrument betrachtet werden, um das vom BVerfG für nötig gehaltene Mindestmaß an Übereinstimmung und Kooperationsfähigkeit herzustellen. Vielmehr seien umgekehrt im Sinne des Kindeswohls zunächst diese Fähigkeiten einzuüben, bevor eine abändernde Entscheidung ergehen könne, denn die Gründe, die für eine Änderung sprechen, müssten die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen.

c) Entzug der elterlichen Sorge

Kinder dürfen gegen den Willen der Sorgeberechtigten von der Familie nur getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (Art. 6 Abs. 3 GG, § 1666 Abs. 1 BGB).

Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BVerfG FamRZ 2014, 1005 und 907; BGH FamRZ 2005, 344).

Das BVerfG (FamRZ 2014, 1772 = NJW 2014, 2936) betont erneut, dass Maßnahmen, die eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ermöglichen, nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen dürfen (vgl. BVerfG FamRZ 2014, 907, 1177 und 1266 m. Anm. Keuter FamRZ 2014, 1354 = FamRB 2014, 371 m. Hinw. Giers). Eine Trennung der Kinder von ihren Eltern stellt den stärksten Eingriff in das Elternrecht dar und unterliegt strenger verfassungsrechtlicher Kontrolle (BVerfG 2014, 1270 m. Anm. Stößer = FuR 2014, 719 – Bearb. Soyka).

Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu rechtfertigen, müssen die Fachgerichte im Einzelfall feststellen, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (ZAP F. 1, S. 268 = ZAP EN-Nr. 913/2014).

Mit dem Beitrag "Schützt das Grundgesetz die Kinder nicht?" (NJW 2014, 2904) erörtert Heimann die in 2014 ergangenen o.a. Entscheidungen des BVerfG, durch die sechs obergerichtliche Entscheidungen wegen verfassungswidriger Eingriffe in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG aufgehoben worden sind. Diese Rechtsprechung sei geeignet, die Diskussion um die Einführung von Kinderrechten in das Grundgesetz zu beeinflussen.

Das OLG Brandenburg (FamRZ 2014, 1649) weist darauf hin, dass eine Gefahr nicht besteht, wenn die Schädigung des Kindeswohls zwar zu erwarten oder sogar schon eingetreten ist, aber durch Maßnahmen der Eltern abgewendet oder behoben werden kann. Erst wenn die Eltern die Schädigung nicht selbst abwenden, ist der Staat sowohl berechtigt als auch verpflichtet, mit hoheitlichem Zwang einzuschreiten.

Selbst eine scheinbare heillose Zerstrittenheit der Eltern rechtfertigt die Aufhebung der gemeinsamen Sorge nur dann, wenn der Elternstreit sich zum einen ungünstig auf das Kindeswohl auswirkt und wenn zum andern allein durch die Übertragung der Alleinsorge Abhilfe zu erwarten ist (OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1380).

 

Hinweis:

Das Gericht darf die Feststellungen des Sachverständigen nicht einfach übernehmen. Erforderlich ist eine sorgfältige und in sich schlüssige Begründung, insbesondere warum keine milderen Mittel in Betracht kommen.

d) Verbleibensanordnung

Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, kann das Familiengericht gem. § 1632 Abs. 4 BGB anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn u...

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