Das BAG (Urt. v. 20.6.2018 – 5 AZR 162/17) hat erstmalig zur Hemmung wegen Vergleichsverhandlungen entschieden. Dem Fünften Senat lag folgender Sachverhalt vor: Der Kläger begehrte Urlaubsabgeltung und Überstundenvergütung. Er war vom 1.1.2014 bis zum 31.7.2015 bei dem Beklagten als technischer Sachbearbeiter gegen 4.361 EUR brutto monatlich beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält eine zweistufige Ausschlussklausel: "Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab oder äußert sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der Geltendmachung, so ist der Anspruch innerhalb von weiteren drei Monaten ab Zugang der Ablehnung bzw. Ablauf der Zweiwochenfrist bei Gericht anhängig zu machen. Anderenfalls ist der Anspruch verfallen und kann nicht mehr geltend gemacht werden."

Mit Schreiben vom 14.9.2015 forderte der Kläger von dem Beklagten die Abgeltung von 32 Urlaubstagen mit einem Gesamtbetrag von 6.387,52 EUR brutto sowie weitere 4.671,88 EUR brutto als Vergütung von 182,25 Überstunden. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 28.9.2015 die Ansprüche ab. Zugleich wies er darauf hin, er strebe eine einvernehmliche Lösung an. In der Folgezeit führten die Parteien über die von ihnen beauftragten Rechtsanwälte Vergleichsverhandlungen, die bis zum 25.11.2015 andauerten. Im Ergebnis blieben sie erfolglos. Der Kläger hat am 21.1.2016 Klage erhoben, mit der er seine Ansprüche verfolgt.

Während ArbG und LAG die Klage wegen Verfalls abwiesen, hatte der Kläger vor dem BAG im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Ausschlussfristen und Verjährungsfristen haben zwar eine unterschiedliche Rechtswirkung; erstere vernichten das Recht, letztere geben dem Schuldner eine Einrede und hindern damit die Durchsetzung der rechtlich fortbestehenden Forderung (§ 214 BGB). Doch bei beiden geht es im Kern darum, dass der Anspruchsinhaber seinen Anspruch gegen den Willen des Anspruchsgegners nur innerhalb bestimmter Fristen verwirklichen kann. Faktisch verkürzt eine Ausschluss- die Verjährungsfrist, weshalb sie den Anforderungen des § 202 Abs. 1 BGB, der eine Erleichterung der Verjährung bei Haftung wegen Vorsatz im Voraus durch Rechtsgeschäft untersagt, genügen muss. Wie beim Verjährungsrecht soll mit einer Ausschlussfrist das im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit anzuerkennende Klarstellungsinteresse des Schuldners in Einklang gebracht werden mit dem berechtigten Anliegen des Vertragspartners, vor Beschreiten des Rechtswegs die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen zu können und nicht zu einer voreiligen Klageerhebung gezwungen zu sein. Nimmt eine einzelvertragliche Verfallklausel mit dem Erfordernis einer gerichtlichen Geltendmachung zudem auf einen vom Verjährungsrecht zur Hemmung der Verjährung zur Verfügung gestellten Tatbestand (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) Bezug, gebieten die Ähnlichkeit von Funktion und faktischer Wirkung, auf die Ausschlussfrist diejenigen Verjährungsvorschriften entsprechend anzuwenden, deren Zweck dem Wesen der Ausschlussfrist nicht widerspricht.

Danach gilt: Auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen findet § 203 S. 1 BGB entsprechende Anwendung. Die Ausschlussfrist ist gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen. Der Verhandlungszeitraum, während dessen die Vergleichsverhandlungen andauern, wird entsprechend § 209 BGB in die Ausschlussfrist nicht eingerechnet. Dagegen ist § 203 S. 2 BGB, der bestimmt, dass die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen nicht anwendbar.

 

Hinweise:

  • Unter Vergleichsverhandlungen i.S.v. § 203 S. 1 BGB ist grundsätzlich jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen zu verstehen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein (vgl. BAG a.a.O., Rn 32).
  • Zwar war die vertraglich vereinbarte Verfallklausel insgesamt unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausdrücklich aus ihrem Anwendungsbereich ausnahm (vgl. nun: BAG, Urt. v. 18.10.2018 – 6 AZR 232/17 (A), EzA-SD 2018, Nr. 24, 12 f.; zum AEntG bereits: BAG, Urt. v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15 Rn 29 f., BAGE 156, 150). Das hat das BAG jedoch ausdrücklich dahinstehen lassen, um in der Sache zu §§ 203, 209 BGB entscheiden zu können!
  • Die Entscheidung ist zu einer zweistufigen arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist ergangen. Die Begründung nimmt ausdrücklich auf § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB Bezug. Die Rechtsprechung erscheint auf zweistufige tarifliche Ausschlussfristen nicht ohne Weiteres übertragbar, weil die Auslegung entweder vom erkennbaren Tarifwillen getragen sein müsste oder einer gesetzlich zwingenden Regelung entsprechen müsste.

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