Mitte November haben die Justizminister und Justizministerinnen der Länder in Berlin wieder zahlreiche aktuelle Themen diskutiert und auch Beschlüsse gefasst. Das Themenspektrum reichte diesmal vom Hochwasser im Juli über Veränderungen im Prozessrecht bis hin zur Strafbarkeit bei gefälschten Gesundheitszeugnissen. Auch die Digitalisierung in der Justiz nahm einen breiten Raum ein. Die für die Anwaltschaft interessantesten Tagesordnungspunkte sind nachstehend wiedergegeben.

  1. Verfahrens- und prozessrechtliche Fragen:

    a) Insolvenzantragspflicht bei Naturkatastrophen: Nach Auffassung der Justizminister trägt die Vorschrift des § 15a InsO zur Insolvenzantragspflicht, die eine Antragstellung innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung vorsieht, der Sondersituation, in der sich ein durch eine Naturkatastrophe Geschädigter befindet, nicht in jedem Fall Rechnung. Gerade die dramatischen Starkregen- und Hochwasserereignisse aus dem Juli 2021 hätten verdeutlicht, dass sichergestellt werden müsse, dass den Betroffenen ausreichende Zeit für die Klärung bleibe, inwieweit die eingetretenen Schäden durch Versicherungsleistungen, staatliche Hilfeleistungen, Zins- und Tilgungsmoratorien und andere Maßnahmen ausgeglichen werden könnten. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) wurde gebeten, eine allgemeine, für alle künftigen Fälle geltende und dauerhafte Regelung zur Insolvenzantragspflicht in Fällen von Naturkatastrophen vorzuschlagen, die ein "kurzfristiges und regelmäßig mit Rückwirkung versehenes Eingreifen des Bundesgesetzgebers im Einzelfall" entbehrlich mache und für alle Beteiligten mehr Klarheit und Rechtssicherheit schaffe. Zur damit in Zusammenhang stehenden Frage der Einführung einer Elementarschaden-Pflichtversicherung wollen die Ressortchefs zunächst die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe abwarten, die im nächsten Frühjahr vorliegen sollen.

    b) Zuständigkeitsstreitwert für die Amtsgerichte: Nach Beobachtung der Justizminister gibt es unerwünschte Verschiebungen im Geschäftsanfall namentlich zwischen Amts- und Landgerichten, die u.a. auf die Inflationsentwicklung der letzten 30 Jahre zurückzuführen sind. Der Zuständigkeitsstreitwert für die Amtsgerichte gem. § 23 Nr. 1 GVG sei zuletzt im Jahr 1993 erhöht worden und bedürfe jetzt wieder einer Überprüfung. Dabei sollen auch die personalwirtschaftlichen und gerichtsorganisatorischen Folgen in den Blick genommen werden. Zu diesem Zweck wurde eine Arbeitsgruppe unter Federführung der Justizminister der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eingerichtet, die – neben dem Zuständigkeitsstreitwert – auch die Wertgrenze für das vereinfachte Verfahren in § 495a ZPO sowie die Berufungs- bzw. Beschwerdewertgrenzen (s. etwa § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG, § 68 Abs. 1 S. 1 GKG) einer Überprüfung unterziehen soll.

    c) Massenverfahren im Zivilprozess: Nach Auffassung der Justizministerinnen und Justizminister gibt es einen "dringenden Reformbedarf" zur Bewältigung von Massenverfahren. Sie sehen insb. die Zivilgerichte aufgrund "zunehmender und immer neuer Massenverfahren" verstärkt belastet, sodass in manchen Bundesländern die Verfahren kaum mehr in angemessener Zeit bewältigt werden könnten. Die vielschichtigen mit den Massenverfahren einhergehenden Probleme belasteten Eingangsstellen, Wachtmeistereien, Geschäftsstellen, Rechtspfleger- und Richterdienste sämtlicher Instanzen ganz erheblich. Gründe dafür sehen die Minister u.a. in dem Umstand, dass sich einige Anwaltskanzleien und Legal-Tech-Anbieter mittlerweile auf Massenverfahren spezialisiert hätten und Mandanten aktiv in großer Zahl anwerben würden. Auch ließen es einige beklagte Unternehmen in weitem Umfang auf gerichtliche Verfahren ankommen. Die Prozessführung in Massenverfahren stelle die Gerichte vor große Herausforderungen, weil zum Teil sehr umfangreiche und textbausteinartige Schriftsätze ohne hinreichenden Einzelfallbezug eingereicht würden und Terminsvertreter nicht immer sachkundig seien. Da eine große Zahl von Parallelverfahren anhängig sei, würden Entscheidungen meist mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln angefochten und es bestünden kaum Vergleichsmöglichkeiten. Dies führe dazu, dass eine Vielzahl von Verfahren mit ähnlichem Streitgegenstand parallel über mehrere Instanzen geführt würde. Hinzu komme, dass Parteien zum Teil bemüht seien, die frühzeitige höchstrichterliche Klärung grundlegender Rechtsfragen zu vermeiden. Das BMJV wurde deshalb gebeten, auch vor dem Hintergrund der noch ausstehenden Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie einen Vorschlag zu verfahrensrechtlichen Änderungen zu machen, der auch die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe in den Blick nimmt, die sich derzeit mit dem Thema "Vorabentscheidungsverfahren vor dem BGH" beschäftigt.

    d) Massenverfahren in arbeitsgerichtlichen Verfahren: Auch im Arbeitsgerichtsprozess sehen die Länderjustizminister zunehmende Probleme...

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