Im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt sich die Frage, ob dem Rechtsanwalt ein Verschulden an der Versäumung der maßgeblichen Frist trifft (§ 60 Abs. 1 VwGO). Bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax an das Gericht handelt es sich um eine einfache technische Verrichtung, die ein Rechtsanwalt einer hinreichend geschulten und überwachten Kanzleikraft überlassen darf (vgl. BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 155 S. 8, Nr. 235 S. 23). Der Anwalt ist aber gehalten, Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen soweit wie möglich auszuschließen. Entscheidend ist, ob die vom Anwalt allgemein oder im konkreten Fall gegebenen Anweisungen nach Maßgabe der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ausreichen, um den rechtzeitigen Zugang des Schriftstücks beim Empfänger sicherzustellen. Gibt der Anwalt einer bisher zuverlässigen und fachlich qualifizierten Kanzleikraft eine konkrete mündliche Einzelanweisung über die rechtzeitige Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes, darf er grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie befolgt wird (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1361, 1362 und NJW-RR 2007, 1430, Rn. 9). Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen für die Fristwahrung kommt es in diesem Fall nicht an (BGH NJW-RR 2013, 1467). Dieser Grundsatz gilt aber nicht ausnahmslos. Betrifft die Einzelanweisung einen wichtigen Vorgang wie die Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anordnung im Drange der Geschäfte in Vergessenheit gerät und die Frist dadurch versäumt wird. Wird nicht unmissverständlich die sofortige Versendung angeordnet, sondern der Kanzleikraft ein Spielraum von mehreren Stunden zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit eingeräumt, bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen Organisationsmangel (BGH NJW-RR 2004, 1361, 1362 und NJW 2008, 526, Rn. 10 ff.).

Allerdings hat das BVerwG in seinem Beschluss vom 25.3.2015 (9 B 65.14 – NJW 2015, 1976 f.) ein Organisationsdefizit des Rechtsanwalts verneint, wenn ein als Einzelanwalt tätiger Rechtsanwalt, der vor dem Verlassen der Kanzlei seiner einzigen Bürokraft die mündliche Weisung erteilt, einen Schriftsatz zur Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist im Lauf des Nachmittags per Telefax an das zuständige Gericht abzusenden, die von der Bürokraft aber die Anweisung deshalb nicht ausgeführt wird, weil sie nach der Nachricht von einem Unfall ihrer Tochter überstürzt die Kanzlei verlässt, ohne den Auftrag auszuführen. Es würde die Überspannung der individuellen Sorgfaltspflichten bedeuten, wollte man von einem als Einzelanwalt tätigen Rechtsanwalt, der nur eine Kanzleikraft beschäftige, umfassende organisatorische Vorkehrungen auch gegen solche außerhalb seines Einwirkungsbereichs liegende Zwischenfälle verlangen. Dies käme dem Ansinnen gleich, generell auf nicht sofort auszuführende Einzelweisungen zu verzichten.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge