Wer die jüngste Gesetzgebung zum anwaltlichen Berufsrecht in der soeben abgelaufenen Legislaturperiode aufmerksam verfolgt hat, dem wird kaum entgangen sein, dass die Politik in vielen Punkten zuletzt kaum noch auf die Stimmen der anwaltlichen Interessenvertretungen gehört hat. Manche Regelungspunkte in den Reformen, etwa zur interprofessionellen Zusammenarbeit und ganz besonders zu den Legal-Tech-Anbietern, wurden gegen teils laute und wiederholte Kritik von Seiten der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und des Deutschen Anwaltvereins (DAV) durchgesetzt.

Gerade diese Legislaturperiode hat damit deutlich gemacht, wie sehr die Anwaltsverbände im politischen Raum zwischenzeitlich an Einfluss verloren haben. Galt es früher als eine „Ehrenpflicht” des Bundesjustizministeriums, den von BRAK und DAV vorgebrachten Argumenten angesichts des dort verkörperten, juristischen Sachverstands nach Möglichkeit zu folgen, gelten die beiden Verbände heute in Berlin nur noch als zwei von vielen Interessensvertretungen. Entsprechend enttäuscht, wenngleich nach außen tapfer auftretend, gaben sich ihre Berufsrechtsexperten nach einer Bilanz der jüngsten Reformen, als sie von „Lob und Kritik” sprachen und sich „im Großen und Ganzen” mit dem Erreichten zufrieden zeigten (vgl. Anwaltsmagazin ZAP 2021, S. 631).

Einer der Gründe für diesen Bedeutungsverlust dürfte darin zu suchen sein, dass beide anwaltlichen Berufsvertretungen seit längerem nicht mehr an einem Strang ziehen, sondern auch gegenüber den zuständigen Ministerien und bei den Ausschussanhörungen zuweilen offen unterschiedliche, teils konträre Positionen beziehen. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass die Zahl der Interessensverbände, die die Fachministerien bei Gesetzgebungsvorhaben regelmäßig beteiligen, ständig zunimmt. Die Liste der sog. Verteiler, an die etwa Gesetzentwürfe mit der Bitte um Stellungnahme verschickt werden, mutet mitunter abenteuerlich lang an. Und sie könnte demnächst noch länger werden. In Fachmedien wird bereits darüber spekuliert, dass sich die großen Wirtschaftskanzleien offen aus dem DAV zurückziehen und einen eigenen Lobbyverband gründen könnten.

Das wäre, würde es tatsächlich zu einer Trennung kommen, nach dem Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ), schon die zweite nicht unbedeutende Gruppe von Kollegen, die sich innerhalb kurzer Zeit abspalten würde.

Die Unternehmensjuristen hatten sich vor rund zehn Jahren als neue eigenständige Interessensvertretung organisiert, u.a. im Kampf um die Anerkennung ihrer Fachanwaltstitel und den Verbleib im Versorgungswerk. Auch die Wirtschaftsanwälte beklagen seit längerem, dass sie sich im DAV nicht mehr angemessen repräsentiert fühlen. Das hängt zum einen mit den traditionellen Strukturen des auf Einzelmitgliedschaft ausgerichteten Vereins zusammen, der korporative Mitgliedschaften weitgehend ausschließt. Auch die Dachverbandskonstruktion, die die Mitarbeit im örtlichen Anwaltsverein in den Mittelpunkt stellt, stößt auf Kritik, weil sie, so die Befürchtung, einer Professionalisierung der Geschäftsführung entgegenwirkt. Zum anderen wird bemängelt, dass die traditionelle Ausrichtung des DAV auf die kleineren Kanzleien in der Fläche angesichts der zunehmenden Heterogenität der Anwaltschaft nicht mehr zeitgemäß ist. Die Pflege von „Brauchtum und Geselligkeit” sowie auch „Praxistipps für den Alltag” interessierten, so die durchaus nachvollziehbare Argumentation, einen international tätigen Wirtschaftsanwalt nur wenig. Einige Beobachter rechnen denn auch damit, dass die großen Kanzleien, die jetzt schon auf das „regulatorische Umfeld” im nächsten Jahrzehnt blicken, bald einen eigenen Bundesverband gründen werden.

Eine solche Entwicklung wäre aus Sicht vermutlich der Mehrheit der Kollegen bedauerlich. Der Verlauf der jüngsten Reformgesetzgebung im Anwaltsrecht hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass die Anwaltschaft mit einer Stimme spricht. Dazu gehören Kooperation und Koordination, nicht eine weitere Aufspaltung der Kräfte. Noch gibt es die Chance, die Spaltung zu verhindern. Sie sollte genutzt werden.

ZAP F., S. 1115–1116

Rechtsanwalt Günter Lange, Haltern

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