(OLG Braunschweig, Urt. v. 28.2.2019 – 9 U 129/15) • Ist ein Arzt wegen eines Behandlungsfehlers zum Schadensersatz verpflichtet, ist es ihm zwar nicht grds. verwehrt, sich auf ein Mitverschulden des Patienten zu berufen. Bei der Bejahung mitverschuldensbegründender Obliegenheitsverletzungen des Patienten ist allerdings Zurückhaltung geboten (BGH, Urt. v. 17.12.1996 – VI ZR 133/95, juris Rn 13). Im Allgemeinen obliegt es zwar dem Patienten, grds. einen Arzt aufzusuchen, wenn eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands dies nahelegt (vgl. OLG München, Urt. v. 23.9.2004 – 1 U 5198/03, juris-Rn 83). Es hängt indes von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, wann die Nicht-Konsultation eines Arztes diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Treten bei dem Patienten erneut Symptome (hier: Darmblutungen) auf, für die aufgrund der vorangegangenen, auf unzureichender Befunderhebung basierenden Diagnose des Arztes dem Patienten Erklärungen (hier: Hämorrhoiden und Analfissur) genannt wurden, die keine zeitnahe Wiedervorstellung nahelegen, so stellt es keinen ein Mitverschulden begründenden Sorgfaltsverstoß dar, wenn sich der Patient beim Wiederauftreten der Symptome nicht sofort wieder in Behandlung begibt. Vielmehr darf insoweit der Patient zumindest eine Zeit lang darauf vertrauen, dass keine ernsthafte Erkrankung (hier: Darmkrebs) vorliegt. Ist einem Arzt durch schuldhaftes Unterlassen der gebotenen Befunderhebung nach dem Grundsatz des groben Behandlungsfehlers zuzurechnen, dass eine an Darmkrebs erkrankte 47-jährige Patientin nach 4 ½ Jahren Überlebenszeit mit zahlreichen belastenden Therapien und Operationen verstorben ist, indem ihr die Chance auf eine zeitgerechte, weniger invasive Behandlung von 4-5 Monaten mit vollständiger Genesung genommen wurde, so ist die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 70.000 EUR angemessen und keinesfalls überhöht.

ZAP EN-Nr. 452/2019

ZAP F. 1, S. 835–835

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