Auf eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) hatte das BAG (Beschl. v. 22.9.2016 – 6 AZN 376/16, NJW 2016, 3611) folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Beklagte warf dem Kläger vor, er habe ihn mehrfach bestohlen, was durch Videoaufzeichnungen belegt werden könne. Das LAG nahm die bis dahin zur Akte gereichten Videoaufzeichnungen in öffentlicher Verhandlung in Augenschein. In dieser Verhandlung erklärte der Beklagte, aus einem weiteren Video ergäbe sich ein weiterer Diebstahl des Klägers. Dieses auf einem USB-Stick gespeicherte Video wurde später, noch am selben Tag, von der Kammer in Anwesenheit der Parteien im Dienstzimmer des Kammervorsitzenden in Augenschein genommen. Auf der Terminsrolle erfolgte kein Hinweis auf die Verlegung des Verhandlungsortes.

Das BAG entschied, dass der von der Beschwerde geltend gemachte absolute Revisionsgrund der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit (§ 547 Nr. 5 ZPO i.V.m. §§ 72a Abs. 3 S. 2 Nr. 3 Alt. 1, 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG) vorliege und verwies den Vorgang unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück (zur analogen Anwendung von § 72a Abs. 7 ArbGG bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes s. BAG v. 5.6.2014 – 6 AZN 267/14, NJW 2015, 269).

Gemäß § 52 S. 1 ArbGG sind die Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht öffentlich. Dies gilt ausdrücklich auch für die Beweisaufnahme, falls diese nicht im Wege der Rechtshilfe vor dem Beauftragen oder ersuchten Richter erfolgt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 S. 1 GVG), der zu den Prinzipien demokratischer Rechtspflege gehört, verlangt, dass jedermann bei der Sitzung anwesend sein kann. Er soll eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz verhindern, vor allem dient er jedoch der Kontrolle der Justiz durch die Möglichkeit der Allgemeinheit, die Verhandlung zu beobachten. Die Öffentlichkeit kann ihre Kontrollfunktion jedoch nur ausüben, wenn sie ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis erlangen kann, an welcher Stelle im Gericht (oder außerhalb des Gerichts) die Verhandlung stattfindet. Das Erfordernis einer Nachfrage an der Gerichtspforte oder auf der Geschäftsstelle ist mit dieser Kontrollfunktion nur in Ausnahmefällen vereinbar. Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem es um die Verlegung einer am Vormittag und damit zu einer für Gerichtsverhandlungen üblichen Zeit stattfindenden Beweisaufnahme als zentraler Bestandteil der Verhandlung und gerichtlichen Entscheidungsfindung ging, ist, so das BAG, zumindest ein für jedermann erkennbarer Hinweis, dass und wo die Beweisaufnahme stattfindet bzw. fortgesetzt wird, am Eingang des Sitzungssaales zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit unentbehrlich. Ein solcher Hinweis hätte hier ohne Weiteres durch einen handschriftlichen Zusatz auf der Terminsrolle oder auf einem zusätzlich daneben angebrachten Blatt erfolgen können. Auf Erkundigungsmöglichkeiten konnte hier, so das BAG, auch deshalb nicht verwiesen werden, weil unklar war, ob der Vorsitzende die Geschäftsstelle der Kammer oder andere Gerichtsbedienstete überhaupt von der Verlegung des Verhandlungsortes informiert hatte, so dass etwaige Nachfragen potenzieller Zuhörer ins Leere gegangen wären. Überdies setzen solche Nachfragen Grundkenntnisse der Abläufe bei Gericht voraus, wo hingegen die Gerichtsöffentlichkeit nur gewahrt ist, wenn auch gänzlich gerichtsunkundige Zuhörer die Möglichkeit haben, Zutritt zur öffentlichen Verhandlung zu erhalten.

Auf die Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann nicht verzichtet werden, § 295 Abs. 2 ZPO. Es ist demnach unerheblich, dass der Beschwerdeführer die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht bereits in der mündlichen Verhandlung gerügt, sondern weiterverhandelt hat.

 

Hinweis:

Das LAG hatte die Berufung des Beklagten (Beschwerdeführers) gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Dem Erfolg der Beschwerde steht nicht entgegen, dass sie die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht aufgezeigt hat und die Tatsachenwürdigung des LAG in einem zugelassenen Revisionsverfahren nur beschränkt überprüfbar wäre. Das Gesetz ordnet eine Verletzung der Vorschrift über die Öffentlichkeit als absoluten Revisionsgrund ein und stellt eine unwiderlegbare Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung auf.

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