Ein Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht kann grundsätzlich nach den Normen der BRAO im Rahmen eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens geahndet werden. Eine unmittelbare Aufsicht durch die Organe der Justizverwaltung existiert hingegen nicht. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO obliegt der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer in beruflicher Selbstverwaltung die Ausübung und Vollziehung der Aufsicht über die zugelassenen Rechtsanwälte. Erhält die Rechtsanwaltskammer Kenntnis von möglichen Berufspflichtverletzungen, muss sie von Amts wegen tätig werden und eine möglichst umfassende Sachverhaltsaufklärung durchführen.

Nach § 113 Abs. 1 BRAO kann nur ein schuldhafter Verstoß gegen berufsrechtliche Pflichten zu einem Einschreiten der Rechtsanwaltskammer führen. Ein etwaiger Irrtum des Rechtsanwalts über das Bestehen oder die Reichweite einer Berufspflicht entlastet ihn nicht, da er sich über das geltende Berufsrecht zu informieren hat. Uneingeschränkt verfolgbar sind Berufspflichtverstöße bei der anwaltlichen Berufsausübung, worunter auch die Tätigkeit als Insolvenzverwalter, Betreuer, Nachlassverwalter und Liquidator zu zählen ist (BGH, Urt. v. 6.7.2015 – AnwZ (Brfg) 24/14, AnwBl. 2015, 714). Rein privates Fehlverhalten, das nicht zugleich strafbewehrt ist, wie z.B. verspätete Zahlungen des Rechtsanwalts, unterfällt der berufsrechtlichen Sanktionierungsmöglichkeit nicht. Auch Verhalten des Rechtsanwalts vor seiner Zulassung können nicht sanktioniert werden, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Anwaltsgerichtsbarkeit unterfiel (Henssler/Prütting/Dittmann/Thole, 6. Aufl. 2024, § 113 BRAO Rn 13).

Als erste Stufe der Sanktionierung berufsrechtlicher Verstöße ist die Rechtsanwaltskammer selbst zuständig, indem sie eine Belehrung oder eine Rüge nach § 73 Abs. 2 Nrn. 1, 4 BRAO erteilt. Die Belehrung ist gegenüber der Rüge die mildere Sanktionsmaßnahme und kommt auch bei nicht schuldhaften Berufspflichtverstößen in Betracht. Eine Rüge kann bei schuldhaften Verhalten des Rechtsanwalts nur dann erteilt werden, wenn die Schuld im Einzelfall gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint. Steht hingegen eine schwerwiegendere Berufspflichtverletzung im Raum, ist anstelle der Rechtsanwaltskammer die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht (= Generalstaatsanwaltschaft) zuständig, § 120 BRAO. Sie prüft dann, ob durch Einreichung einer sog. Anschuldigungsschrift beim Anwaltsgericht nach § 121 BRAO das anwaltsgerichtliche Verfahren einzuleiten ist. Zwischen beiden Behörden besteht eine Unterrichtungspflicht nach § 74 Abs. 4 S. 3 BRAO. Die Entscheidung des Vorstands der zuständigen Rechtsanwaltskammer, den Einzelfall an die Generalstaatsanwaltschaft abzugeben, ist unanfechtbar, wobei der betroffene Rechtsanwalt über die Abgabe zu informieren ist (Jungfer BRAK-Mitt. 2001, 167).

1. Die Belehrung nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO

Auf Anfrage von zugelassenen Rechtsanwälten der Kammer erteilt der Vorstand Auskunft über berufsrechtliche Fragen und berät die Kammermitglieder. Der Kammervorstand hat darüber hinaus eine umfassende Überwachungsfunktion hinsichtlich der Einhaltung aller Berufspflichten durch seine Mitglieder, sodass er auch ohne konkrete Nachfrage Belehrungen erteilen kann, um bestehende oder zu erwartende Zweifel zu Berufsfragen zu beseitigen. Diese weitgehende Überwachungsfunktion beinhaltet auch die Berechtigung des Vorstands, berufswidriges Verhalten eines Rechtsanwalts zu untersagen bzw. sich zukünftig standesgemäß zu verhalten (Unterlassungs- oder Handlungsgebot, AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 6.9.2000 – 2 AGH 23/99, NJW 2001, 1586). Im letztgenannten Fall greift die Rechtsanwaltskammer durch Verwaltungsakt in die Rechte des Kammermitglieds ein, sodass dieser Widerspruch gem. § 112a BRAO binnen Monatsfrist nach Zustellung der Klage beim Anwaltsgerichtshof erheben kann (BGH, Beschl. v. 7.11.1983 – AnwZ 21/83, NJW 1984, 1042). Gegen eine zurückweisende Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ist nach § 112e BRAO die Berufung zum BGH zulässig, aber nur, soweit sie von einem der beiden Gerichte zugelassen wurde.

Jeder Rechtsanwalt muss sich über das Berufsrecht unterrichten lassen und kann sich daher zu keiner Zeit auf entschuldigende Unkenntnis oder einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der jederzeit bestehenden Möglichkeit, bei Unklarheiten eine Auskunft der Rechtsanwaltskammer verlangen zu können.

Gegenüber einer Rüge ist eine missbilligende Belehrung die mildere Maßnahme, da letztere zwar ein objektiv berufspflichtwidriges Verhalten feststellt, aber keinen subjektiven Schuldvorwurf erhebt. Diese missbilligende Belehrung, die teilweise auch belehrender Hinweis genannt wird, ist von der neueren Rechtsprechung des BGH anerkannt worden als ein den Rechtsanwaltskammern zustehendes Zwischeninstrumentarium zwischen Belehrung und Rüge (BGH, Beschl. v. 25.11.2002 – AnwZ (B) 41/02, BRAK-Mitt. 2003, 82; im Ergebnis ebenso BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 20.11.2007 – 1 BvR 2482/07,...

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