Einen ungewöhnlichen und abzulehnenden Schritt geht das OLG Frankfurt (zfs 2022, 107 m. abl. Anm. Krenberger; VRR 12/2021, 20/StRR 12/2021, 29 [jew. abl. Deutscher]): Der Senat erwägt, zukünftig – gestützt auf BVerfG NJW 2021, 455 – einen Entbindungsantrag nur noch als prozessual wirksam anzusehen, wenn er „frühzeitig”, das heißt mind. drei Werktage vor der Hauptverhandlung gestellt wird. Das findet keinen gesetzlichen Aufhänger, verlangt aber als „Warnschuss” für in Hessen tätige Verteidiger insoweit eine besondere Sorgfalt bei Entbindungsanträgen (näher Deutscher a.a.O.). Unter den Bedingungen eines üblicherweise dynamisch und komplex verlaufenden Sitzungstags kann nicht damit gerechnet werden, dass der Abteilungsrichter einen kurz zuvor eingereichten umfangreichen Schriftsatz (hier: 13 Seiten) in der unter normalen Voraussetzungen gebotenen sowie üblichen Gründlichkeit und Sorgfalt liest. Die Einschätzung, ob in einem solchen Schriftsatz mit der Absicht, eine „Gehörsrügefalle” (OLG Düsseldorf VRR 6/2017, 16; OLG Oldenburg, NJW 2018, 641) zu stellen, ein Entbindungsantrag rechtsmissbräuchlich „versteckt” wurde, erfordert eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (KG NZV 2022, 45 [Rinio]). Wird mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, dass sich ein gem. § 74 Abs. 2 OWiG ergangenes Verwerfungsurteil nicht dazu verhält, ob die Verhinderung des Verteidigers das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung entschuldigt ist, genügt die Verfahrensrüge nur dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, wenn auch vorgetragen wird, dass die Verhinderung des Verteidigers für das Ausbleiben des Betroffenen ursächlich war (OLG Koblenz DAR 2021, 640 m. Anm. Krenberger). Die Anordnung des Vorsitzenden, in der Hauptverhandlung aus Gründen des Infektionsschutzes eine Mund-Nasen-Schutz-Bedeckung zu tragen, ist als sitzungspolizeiliche Maßnahme nach § 176 Abs. 1 GVG zulässig. Das allgemeine Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 GVG steht dem nicht entgegen. Wird ein Betroffener wegen ordnungswidrigen Benehmens gem. § 177 GVG aus dem Sitzungssaal entfernt, rechtfertigt dies nicht die Verwerfung seines gegen den Bußgeldbescheid gerichteten Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach § 231b Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zu verfahren (BayObLG VRR 10/2021, 27 [Burhoff]; Rechtsprechungsübersicht zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie bei Deutscher zfs 2021, 544).

 

Abschließende Hinweise:

Das Beschleunigen bei gelbem Ampellicht kann den Schluss auf eine vorsätzliche Tatbegehung zulassen (KG DAR 2022, 159; NZV 2021, 643 [Balschun]). Zum Vorsatz bei einem Abstandsverstoß OLG Koblenz VRR 12/2012, 18 (Burhoff). Zum rechtfertigenden Notstand bei einem Geschwindigkeitsverstoß OLG Düsseldorf NStZ 2021, 616 m. Anm. Zieschang. Zu den erforderlichen Angaben im Bußgeldbescheid OLG Hamm SVR 2022, 475 (Greiner); OLG Düsseldorf DAR 2022, 39 m. Anm. Krenberger. Nimmt der richtige Betroffene in einem Bußgeldverfahren unter falschem Namen an der Hauptverhandlung teil und wird er unter dem falschen Namen verurteilt, so ist das Urteil gegen ihn wirksam. Lässt sich die wahre Identität des Verurteilten im Nachhinein feststellen, so können Rubrum, Tenor und Urteilsgründe entsprechend berichtigt werden (OLG Stuttgart DAR 2021, 646 m. Bespr. Mitsch 614; NZV 2021, 276 [Stengel]). Macht der Betroffene geltend, dass als mögliche Fahrer in Betracht kommende Personen ihm ähneln und erscheint dies aufgrund einer engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar, darf das AG nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen (OLG Oldenburg DAR 2022 110 m. Anm. Weigel). Zwar unterbricht im Bußgeldverfahren die Anordnung der Vernehmung des Betroffenen nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG die Verjährung auch dann, wenn sie nicht erfolgreich vollzogen werden kann. Dies gilt jedoch nicht für die Anordnung einer Anhörung, die nicht durchgeführt werden soll (BayObLG DAR 2022, 38). Die angemessenen Rechtsfolgen im Bußgeldverfahren erörtern Müller DAR 2022, 2 und Krumm SVR 2022, 11. Zur Einstellung gem. § 47 Abs. 2 OWiG Krumm NZV 2021, 605; Greiner NZV 2022, 69. Zu Datenschutzverstößen bei der Ermittlung von Verkehrsordnungswidrigkeiten Gratz DAR 2021, 650. Die Wohnungsdurchsuchung im Verkehrsrecht behandelt Rebler DAR 2022, 73. In einem Bußgeldverfahren wegen eines Halt- oder Parkverstoßes durch den Führer eines Kfz kann ohne Nachweis des Empfangs eines Anhörungsbogens nicht davon ausgegangen werden, dass der Halter des betroffenen Fahrzeugs vor Erlass des Kostenbescheids tatsächlich nach § 25a Abs. 2 Halbs. 2 StVG angehört worden ist (AG Andernach NZV 2021, 529 m. Anm. Stollenwerk). Eine Scheibenwischerverwarnung stellt im Falle eines Parkverstoßes keine Anhörung des Halters dar (AG Straubing DAR 2022, 48 m. Anm. Fromm).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge