Einige der Beschlüsse der diesjährigen Frühjahrsjustizministerkonferenz (vgl. dazu den vorstehenden Beitrag) haben bereits heftige Kritik seitens des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hervorgerufen. Die Anwaltsvertreter sehen etwa in den Plänen zur Einführung einer Zustellungsfiktion eine „gerichtliche Arbeitserleichterung zu Lasten der Anwalt­schaft”. Auch für die von den Ministern gewünschte Einführung einer Vielklägergebühr im sozialgerichtlichen Verfahren hat der DAV nicht viel übrig.

Nach der Vorstellung der Justizminister könnte ein per Anwaltspostfach (beA) versandtes Schriftstück im Postfach des Empfängers künftig nach drei Tagen als zugegangen gelten anstatt erst nach „händischer” Übersendung eines eEB (nach tatsächlicher Kenntnisnahme). Nach Auffassung des Deutschen Anwaltvereins wäre dies nicht nur nachteilig für Rechtsuchende und Anwaltschaft, sondern sogar unvereinbar mit dem anwaltlichen Berufsrecht.

Die Anwaltschaft könne keinesfalls auf das eEB zugunsten einer Drei-Tages-Zustellfiktion im Postfach verzichten, argumentiert der DAV. Denn nach § 53 BRAO benötige ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin erst bei Abwesenheit von über einer Woche eine Vertretung. Konsequenz dieser Regelung sei, dass während eines einwöchigen Urlaubs das beA-Postfach nicht abgerufen werden müsse. Ein eEB müsse dementsprechend erst nach Rückkehr versandt werden. Die Vorschrift des § 53 BRAO habe seit dem 1.8.2021 endlich Erleichterungen bei der Vertreterbestellung gebracht; die vorgeschlagene Regelung würde dies zunichtemachen. Sollte eine Zugangsfiktion über den Sendebericht in Zukunft das eEB ersetzen, führe das zur Verkürzung von Rechtsmittelfristen zu Lasten der Rechtssuchenden.

Auch an einer etwaigen Vielklägergebühr im sozialgerichtlichen Prozess läßt der DAV kein gutes Haar. Es sei bereits unklar, ob hier überhaupt ein „statistisch signifikantes Problem” vorliege. Zudem gebe es etliche berechtigte Gründe für eine Häufung sozialgerichtlicher Verfahren. Aus gutem Grund sei das sozialgerichtliche Verfahren für Betroffene kostenfrei. Auch habe, so der DAV, die Justiz bereits jetzt ausreichend Handhabe, mit missbräuchlichen Klagen umzugehen.

Es gebe eine Fülle an Konstellationen, in denen eine größere Anzahl von Verfahren gerade kein Hinweis auf eine missbräuchliche Anrufung der Gerichte sei, sondern notwendig, führt der DAV aus. Leistungszeiträume beim Bürgergeld seien beispielsweise oftmals auf sechs Monate begrenzt. Betroffene müssten bei einer als rechtswidrig erachteten Entscheidung – etwa Senkung der Unterkunftskosten oder Anrechnung des Einkommens aus selbstständiger Arbeit – notwendigerweise alle sechs Monate Widerspruch einlegen und dann Klage erheben, erläuterte ein Vertreter des Vereins. Manchmal berühre ein Lebenssachverhalt – etwa eine längere Erkrankung – auch einfach verschiedene sozialrechtliche Bereiche und Anspruchsgegner. Eine Person werde so leicht zu einem „Vielkläger”, obwohl sie nur auf gesetzliche Gegebenheiten reagiere.

Für eine Vielklägergebühr bestehe auch deshalb keine Veranlassung, weil bereits zahlreiche Möglichkeiten zur Entlastung der Justiz bestünden. Sofern Verfahren tatsächlich von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolg hätten, läge der Erlass eines Gerichtsbescheides nahe, schlägt der DAV vor. Darüber hinaus könnten Gerichte bei gegebenem Anlass mit der Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG und der Präklusionsvorschrift des § 106a SGG arbeiten. Denkbar sei auch, spätere Klagen, die dieselbe Streitfrage für einen anderen Zeitraum betreffen, entweder ruhend zu stellen oder mit einem Unterwerfungsvergleich zu beenden. Auch richterliche Hinweise würden viel zu selten erteilt.

Der Vorschlag der Justizminister ist aus den genannten Gründen insgesamt mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nur schwer vereinbar, ist der DAV überzeugt.

[Quelle: DAV]

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