Hat die Partei einen Anspruch auf einen Verkehrsanwalt (§ 121 Abs. 4 ZPO, § 78 Abs. 4 FamFG), kann die Partei stattdessen einen an ihrem Sitz ansässigen Anwalt beauftragen, der zum auswärtigen Gericht fährt. Dessen Reisekosten sind dann bis zur Höhe der ersparten (zusätzlichen) Kosten eines Verkehrsanwalts aus der Landeskasse zu übernehmen. Diese Rechtsprechung geht zurück auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2004 zur BRAGO (BGHZ 159, 370 = FamRZ 2004, 1362 = NJW 2004, 2749 = AGS 2004, 349 = JurBüro 2004, 604 = Rpfleger 2004, 708 = RVGreport 2004, 356 = MDR 2004, 1373). Die Entscheidung ist auf die derzeitige Rechtslage aber nach wie vor übertragbar.

Ist die Einschaltung eines Verkehrsanwalts geboten, ist der Anwalt zutreffenderweise nicht mit der Maßgabe beizuordnen, dass seine Reisekosten übernommen werden "bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts", sondern, "zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts zuzüglich der weiteren Reisekosten bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts".

 

Rechtsprechungshinweis:

 

Beispiel:

Der Anwalt und die bedürftige Partei haben ihren Sitz bzw. Wohnsitz in Hannover. Vor dem AG Senftenberg wird ein Sorgerechtsverfahren mit einen Regelwert i.H.v. 3.000,00 EUR (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG) geführt.

Die Reisekosten des Hannoveraner Anwalts bei Wahrnehmung eines Termins und einer Fahrt mit dem Pkw belaufen sich auf:

 
1. 2 × 390 km x 0,30 EUR/km, Nr. 7003 VV RVG   234,00 EUR
2. Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 3 VV RVG   70,00 EUR
  Gesamt   304,00 EUR

Bei dem angenommenen Verfahrenswert von 3.000,00 EUR würden sich die Kosten eines Verkehrsanwalts wie folgt berechnen:

 
1. 1,0 Gebühr, Nr. 3400 VV RVG   201,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Gesamt   221,00 EUR

Die höchstmögliche Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks Senftenberg beträgt 60 km (Vetschau), so dass sich die Reisekosten eines dort beauftragten Anwalts wie folgt belaufen hätten:

 
1. 2 × 60 km x 0,30 EUR/km, Nr. 7003 VV RVG   36,00 EUR
2. Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG   25,00 EUR
  Gesamt   61,00 EUR

Jetzt ist folgende Überlegung anzustellen: Hätte der in Hannover ansässige Antragsteller einen Verkehrsanwalt in Hannover beauftragt und einen Verfahrensbevollmächtigten in Vetschau, dann hätte die Landeskasse die Kosten beider Anwälte übernehmen müssen. Den Verkehrsanwalt hätte sie übernehmen müssen, weil die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorgelegen hätten; die Kosten des Verfahrensbevollmächtigten aus Vetschau hätte die Landeskasse in voller Höhe übernehmen müssen, da die Reisekosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts stets in voller Höhe zu übernehmen sind (s. oben 2.).

Dadurch, dass der Antragsteller den Anwalt in Hannover als Verfahrensbevollmächtigten beauftragt hat, sind einerseits die Verkehrsanwaltskosten (221,00 EUR) erspart worden und andererseits die möglichen Reisekosten eines Anwalts aus Vetschau (61,00 EUR), so dass die tatsächlich angefallenen Reisekosten folglich von der Landeskasse nicht nur bis zur Höhe der Kosten des ersparten Verkehrsanwalts (221,00 EUR) zu übernehmen sind, sondern bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts zuzüglich der höchstmöglichen Reisekosten eines im Gerichtsbezirks niedergelassenen Anwalts, also insgesamt (221,00 EUR + 61,00 EUR =) 282,00 EUR.

Die bedürftige Partei trägt in diesem Fall allerdings das Risiko, dass die Reisekosten – ggf. aufgrund mehrerer Termine – die Kosten eines Verkehrsanwalts letztlich übersteigen.

 

Beispiel:

Die in Hannover ansässige bedürftige Partei beauftragt dort einen Anwalt, sie in einem Rechtsstreit vor dem LG Berlin zu vertreten. Das LG ordnet den Anwalt bei, mit der Maßgabe, dass seine Reisekosten übernommen werden bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Die Reisekosten des Hannoveraner Anwalts bei Wahrnehmung eines Termins und einer Fahrt mit dem Pkw belaufen sich auf:

 
1. 2 × 285 km x 0,30 EUR/km, Nr. 7003 VV RVG   171,00 EUR
2. Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 Nr. 3 VV RVG   70,00 EUR
  Gesamt   241,00 EUR

Bei dem Streitwert von 10.000,00 EUR würden sich die Kosten eines Verkehrsanwalts wie folgt berechnen:

 
1. 1,0 Gebühr, Nr. 3400 VV RVG, § 49 RVG   307,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Gesamt   327,00 EUR

Die Reise zum ersten Termin wird danach also voll vergütet. Für die Reise zu einem zweiten Termin würden dagegen aus der Landeskasse nur noch (327,00 EUR – 241,00 EUR =) 86,00 EUR gezahlt.

Die danach von der Beiordnung nicht erfassten Mehrkosten muss die bedürftige Partei jetzt selbst tragen. Die Sperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO greift in diesem Fall nach zutreffender Ansicht nicht, weil der Anwalt hinsichtlich der über die Verkehrsanwaltskosten hinausgehenden Reisekosten nicht beigeordnet ist.

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