Sachverhalt

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des bulgarischen Vorlagegerichts ging es um Ansprüche auf Verzinsung von Vorsteuerüberschüssen im Kontext der Art. 183 sowie 252 MwStSystRL. Fraglich war, ob Art. 183 MwStSystRL es zulässt, dass durch eine nachträgliche gesetzgeberische Änderung eine zuvor gesetzlich geregelte Frist für die Erstattung der Mehrwertsteuer unter bestimmten Voraussetzungen verlängert wird, wobei dem Vorsteuerabzugsberechtigten für diesen Zeitraum keine Verzugszinsen gewährt werden. Weiter war fraglich, ob eine zu gewährende Erstattung durch Steuerbescheid mit sonstigen Steuerschulden oder staatlichen Forderungen, welche insbesondere im Zeitraum vor Abgabe der Steuererklärung entstanden sind, verrechnet werden darf, wobei der Mitgliedstaat bis zum Erlass des Steuerprüfungsbescheids Zinsen auf die verrechneten Steuern erhebt.

Art. 183 MwStSystRL regelt die Behandlung von Vorsteuerüberschüssen aus einem Voranmeldungszeitraum. Übersteigt der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten. Die Mitgliedstaaten können jedoch festlegen, dass geringfügige Überschüsse weder vorgetragen noch erstattet werden.

Nach Art. 252 Abs. 1 MwStSystRL ist die Mehrwertsteuererklärung (d.h. nach deutschem Verständnis die Voranmeldung) innerhalb eines von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraums abzugeben. Dieser Zeitraum darf zwei Monate nach Ende jedes einzelnen Steuerzeitraums nicht überschreiten. Nach Art. 252 Abs. 2 MwStSystRL kann der Steuerzeitraum von den Mitgliedstaaten auf einen, zwei oder drei Monate festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten können jedoch andere Zeiträume festlegen, sofern diese ein Jahr nicht überschreiten.

Die Klägerin gab am 11.10.2007 gab eine Steuererklärung (Voranmeldung) ab, die als Ergebnis einen zu erstattenden Vorsteuerüberhang von rd. 2,3 Mio. BGN auswies. Der Erstattungsanspruch ergab sich daraus, dass die Klägerin den Vorsteuerüberhang in nachfolgenden Voranmeldungen nicht abbauen konnte. Nach bis 18.12.2007 geltendem bulgarischem Recht wäre die 45-Tage-Frist, innerhalb derer die Erstattung hätte vorgenommen werden müssen, normalerweise am 26.11.2007 abgelaufen, so dass die bulgarische Finanzverwaltung nach dortigem Recht zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet gewesen wäre.

Am 8.11.2007 war der Klägerin jedoch ein Bescheid zugestellt worden, mit dem eine Steuerprüfung zur Feststellung der Mehrwertsteuerschulden für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 30.9.2007 angeordnet wurde. Mit Verrechnungs- und Erstattungsbescheid vom 19.12.2007 erhielt die Klägerin eine Erstattung von nur rd. 1,4 Mio. BGN.

Über die Steuerprüfung erging am 13.3.2008 ein Bericht, gegen den die Klägerin Einspruch erhob, wobei sie einen Anspruch auf Verzugszinsen auf den bereits erstatteten Betrag (1,4 Mio. BGN) für den Zeitraum vom 27.11.2007 bis 21.12.2007 (Tag des Erhalts der Erstattung) und auf den noch zu erstattenden Betrag für den Zeitraum vom 27.11.2007 bis zum Tag der tatsächlichen Erstattung geltend machte. Der der Klägerin am 29.4.2008 zugegangene Steuerprüfungsbescheid setzte keine Verzugszinsen fest. Der nach dem Steuerprüfungsbescheid zu erstattende Steuerbetrag wurde mit den um die Verzugszinsen erhöhten Steuerschulden für die Jahre 2005 und 2006, die mit demselben Bescheid festgesetzt worden waren, verrechnet. Am 13.5.2008 erhielt die Klägerin einen Restbetrag in Höhe von rd. 180 t BGN, ohne dass eine Entscheidung über die angefallenen Verzugszinsen getroffen worden war.

 

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 183 MwStSystRL zwar weder eine Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Vorsteuerüberhang noch den Zeitpunkt vorsieht, ab dem solche Zinsen geschuldet werden. Dies lässt nach dem Urteil aber nicht den Schluss zu, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten hinsichtlich der Erstattung von Überschüssen jeglicher unionsrechtlichen Kontrolle entzogen sind. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Festlegung der Einzelheiten der Erstattung zwar über gewisse Spielräume. Diese dürfen jedoch den Grundsatz der Neutralität nicht dadurch beeinträchtigen, dass der Unternehmer ganz oder teilweise mit der ihm zu erstattenden Steuer belastet wird. Insbesondere muss es dem Unternehmer möglich sein, unter angemessenen Bedingungen den gesamten Erstattungsanspruch realisieren zu können, was voraussetzt, dass die Erstattung innerhalb einer angemessenen Frist durch eine Zahlung flüssiger Mittel oder auf gleichwertige Weise erfolgt und dass dem Unternehmer durch die gewählte Methode der Erstattung auf keinen Fall ein finanzielles Risiko entstehen darf.

Im Einzelnen hat der EuGH entschieden, dass es mit Art. 183 MwStSystRL nicht vereinbar ist, wenn das nationale Recht eine rückwirkende Verlängerung der Frist für die Erstattung eines Mehrwertsteuerübersc...

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