Rz. 1

Der vierte Unterabschnitt regelt im Einzelnen die Errichtung des Inventars und die unbeschränkte Haftung des Erben in den Fällen, in denen er durch Fristversäumnis und Inventarvergehen (Inventaruntreue und Verweigerung der eidesstattlichen Versicherung) das Recht auf Beschränkung seiner Haftung verliert. Nicht geregelt sind allerdings einige weitere Fälle des Verlustes der Beschränkung der Haftung wie z.B. der fehlende Vorbehalt im Urteil (§ 780 Abs. 1 ZPO), der Verzicht auf die Geltendmachung der beschränkten Haftung, die Haftung für Nachlasserbenschulden (vgl. § 1967 Rdn 26 ff.) und diejenige für die Geschäftsschulden des Erblassers unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 27, 139 HGB.

 

Rz. 2

Das Gesetz definiert in § 1993 BGB das Inventar als "Verzeichnis des Nachlasses" und die Einreichung dieses Verzeichnisses bei dem Nachlassgericht als Inventarerrichtung. Durch die Errichtung des Inventars kann der Erbe im Verhältnis zu den Nachlassgläubigern die Vermutung begründen, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls weitere – als die angegebenen – Nachlassgegenstände nicht vorhanden gewesen seien. Die Vermutung stützt sich auf § 2009 BGB, der voraussetzt, dass das Inventar "rechtzeitig", das bedeutet vor dem Ablauf einer dem Erben nach den §§ 1994 ff. BGB gesetzten Inventarfrist, errichtet wurde. Diese Vollständigkeitsvermutung erlangt praktische Bedeutung vor allem in denjenigen Fällen, in denen die Haftung auf den Nachlass nach den Vorschriften der §§ 19731975, 1989, 19901992 BGB beschränkt wurde.[1]

 

Rz. 3

Im Inventar sollen die beim Eintritt des Erbfalls vorhandenen Nachlassgegenstände (Aktiva) und Nachlassverbindlichkeiten (Passiva) vollständig angegeben werden. Es soll nach § 2001 Abs. 2 BGB außerdem eine Beschreibung der Nachlassgegenstände, soweit eine solche zur Bestimmung des Wertes erforderlich ist, und die Angabe des Wertes enthalten. Maßgebender Zeitpunkt ist der Erbfall. Eine Schätzung des Wertes durch einen Sachverständigen ist nicht vorgesehen; empfiehlt sich aber bei größeren Nachlässen, wenn die bei der Aufnahme mitwirkende Person (§ 2002 BGB) nicht über die notwendige Sachkunde verfügt.

 

Rz. 4

Die Errichtung des Inventars hat weder die Wirkung einer Haftungsbeschränkung noch die einer Haftungssonderung. Sie ist hierfür auch keine notwendige Voraussetzung.[2] Das Inventar verhütet aber, wenn es rechtzeitig und richtig errichtet ist (§§ 1994 Abs. 1 S. 1, 2005 Abs. 1 BGB), dass der Erbe sein Recht zur Haftungsbeschränkung endgültig verliert. Der Erbe ist deshalb wohl berechtigt, aber nicht verpflichtet, ein Inventar zu errichten.

 

Rz. 5

Für den Erben ist die Errichtung eines Inventars ein Mittel, sich die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung zu erhalten.[3] Nach der Errichtung kann ihm, abgesehen von dem Ausnahmefall des § 2005 Abs. 2 BGB, keine Inventarfrist mehr gesetzt werden, durch deren Versäumung er das Recht zur Haftungsbeschränkung verlieren würde. Für den Erben schafft die Errichtung des Inventars weiterhin die Vermutung der Vollständigkeit gegenüber den Nachlassgläubigern. Ihm ist deshalb die Rechenschaftspflicht erleichtert (§§ 1973, 1974, 1978, 1991 Abs. 1 BGB) und die Möglichkeit gegeben, sich vor allem im Zusammenhang mit dem Gläubigeraufgebot von der Ersatzpflicht aus nicht rechtzeitigem Insolvenzantrag zu entlasten (§ 1980 BGB). Es schafft im Verhältnis zwischen dem Erben und den Nachlassgläubigern die negative Vermutung, dass beim Erbfall keine weiteren Nachlassgegenstände vorhanden gewesen sind als die im Inventar verzeichneten (§ 2009 BGB).

 

Rz. 6

Dem Interesse der Nachlassgläubiger dient die Errichtung des Inventars[4] wie folgt: auf Antrag eines Nachlassgläubigers kann dem Erben durch das Nachlassgericht eine Inventarfrist gesetzt werden (§ 1994 Abs. 1 S. 1 BGB). Versäumt der Erbe diese Frist (§ 1994 Abs. 1 S. 2 BGB) oder begeht er eine Inventaruntreue (§ 2005 Abs. 1 BGB), so haftet er allen Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkbar (§ 2006 Abs. 3 BGB). Verweigert der Erbe einem Nachlassgläubiger die eidesstattliche Bekräftigung des Inventars, so haftet er dem einzelnen Gläubiger gegenüber unbeschränkbar (§ 2006 Abs. 3 BGB). Die Einrede des § 2014 BGB reicht nicht über die Errichtung des Inventars hinaus. Aus dem Inventar gewinnen die Nachlassgläubiger eine Übersicht über den Bestand des Nachlasses und wissen, in welche Gegenstände sie die Zwangsvollstreckung betreiben können, ohne das Eigenvermögen des Erben anzugreifen, und wofür sie den Erben bei Veränderungen im Bestand des Nachlasses ersatzpflichtig machen können (§ 1978 BGB). Schließlich gibt den Nachlassgläubigern das Inventar die Möglichkeit der Abwägung, ob für sie ein Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens oder auf Anordnung der Nachlassverwaltung in Betracht kommt.[5]

 

Literaturtipps

Literatur

App, Zur Sicherung des Erben gegen (unerwartete) Nachlassforderungen, DAVorm 2000, 543;

Bornewasser/Klinger, Können Miterben untereinander Auskunft über den Nachlassbestand verlangen?, NJW-Spezial 2004, 349;

Görk...

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