Das Wichtigste in Kürze:

1. Das sog. Zeugenschutzgesetz (ZSchG) lässt die Möglichkeit der Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen ausdrücklich zu.
2. Nach § 255a Abs. 1 gelten für die allgemeine Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung die Vorschriften der §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend.
3. § 255a Abs. 2 S. 1 u. 2 gestatten unter bestimmten (engen) Voraussetzungen die Ersetzung der Vernehmung eines (jugendlichen) Zeugen durch die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung. Nach § 255 Abs. 2 S. 4 ist eine ergänzende Vernehmung des Zeugen zulässig.
4. Der Verteidiger kann/muss die ergänzende Vernehmung des Zeugen in einem förmlichen Beweisantrag beantragen.
 

Rdn 3973

 

Literaturhinweise:

Burhoff, Modernisierung des Strafverfahrens – Teil 2: Hauptverhandlung, ZAP F. 22, S. 1009

Kampmann, Verteidigungsrechte im Lichte der StPO-Reform Von der Effektivierung zur Modernisierung des Strafverfahrens, HRRS 2020, 182

Kudlich, Zeigt doch nicht diesen Film von mir! BGH, Beschluss vom 26.11.2019 – 5 StR 555/19, JA 2020, 229

Leitner, Videotechnik im Strafverfahren, 2012

Lickleder/Sturm, Ist für das Abspielen einer Bild-Ton-Aufzeichnung nach § 255a Abs. 2 StPO ein Gerichtsbeschluss erforderlich?, HRRS 2012, 74

Schlezke, Die Verteidigung vor dem Hintergrund des Unmittelbarkeitsprinzips, StraFo 2020, 481

Wehowsky, Ausgewählte Aspekte einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung: Persönlichkeitsrechte und Austauschrichter, StV 2018, 685

Zehetgruber, Flucht in die Hemmung als einziger Ausweg? – Strafverfahrensrechtliche Alternativvorschläge zum "Allheilmittel" des § 10 EGStPO, GVRZ 2020, 24, s.a. die Hinw. bei → Fragerecht, Allgemeines, Teil F Rdn 1872, und bei → Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3900.

 

Rdn 3974

1. Neben der Möglichkeit der → Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3900, ist nach den Änderungen durch das ZSchG seit 1998 ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, Bild-Ton-Aufzeichnungen (BTA) in der HV vorzuführen. Bis dahin war umstritten, ob derartige Aufzeichnungen als Gegenstände des Augenscheinbeweises im Wege der → Augenscheinseinnahme, Teil A Rdn 435 zu behandeln waren oder ob ihre Vorführung den Vorschriften über die Verlesung von Vernehmungsprotokollen unterlag (dazu Rn 1069 der 2. Aufl.). Nach der gesetzlichen Regelung in § 255a Abs. 1 finden nun die Vorschriften, die sich auf die Verlesung der Niederschrift über eine richterliche oder nichtrichterliche Vernehmung beziehen (§§ 251, 252, 253 und 255), entsprechende Anwendung (dazu Teil V Rdn 3976 ff.). Es handelt sich damit um eine Durchbrechung des → Unmittelbarkeitsgrundsatzes, Teil U Rdn 3116. Darüber hinaus kann in bestimmten Verfahren nach § 255a Abs. 2 S. 1 die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung einer BTA einer früheren Vernehmung ersetzt werden (dazu Teil V Rdn 3980 ff.). Infolge der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 58a durch das "Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019" (BGBl I, S. 2121) – Stichwort: Videovernehmung im EV (dazu Burhoff, EV, Rn 5404) – auf die Vernehmung von erwachsenen (potenziellen) Opfern eines Sexualdelikts waren Folgeänderungen bei § 255a Abs. 2 erforderlich. Hier ist die Zulässigkeit einer vernehmungsersetzenden Vorführung einer BTA auf die Vernehmungen von erwachsenen Opfern eines Sexualdelikts erweitert worden (vgl. Teil V Rdn 3980).

 

Rdn 3975

2.a)aa) Nach § 255a Abs. 1 gelten für die allgemeine Vorführung der BTA einer Zeugenvernehmung die Vorschriften der §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend (dazu Diemer NJW 1999, 1673). Damit bleibt der in § 250 verankerte Grundsatz der persönlichen Vernehmung im Wesentlichen unberührt (vgl. BGHSt 52, 148). Er wird nur insoweit (weiter) durchbrochen, als das Abspielen einer BTA der – i.Ü. schon zulässigen – Verlesung eines Protokolls gleichgesetzt wird. § 255a erlaubt auch nicht das Abspielen der BTA anstelle der Vernehmung einer Vernehmungsperson (BGH, a.a.O., s. noch BGH, Beschl. v. 16.10.2018 – 3 StR 256/18, StV 2019, 518).

 

☆ Auch im Fall des § 254 kann die Vorführung einer BTA in Betracht kommen (dazu →  Verlesung von Protokollen, Geständnisprotokolle , Teil V Rdn  3494  f.).§ 254 kann die Vorführung einer BTA in Betracht kommen (dazu → Verlesung von Protokollen, Geständnisprotokolle, Teil V Rdn 3494 f.).

 

Rdn 3976

b) § 255a Abs. 1 gilt für jede BTA, die gem. §§ 58a, 136 Abs. 4, 168e S. 4 im EV (dazu Burhoff, EV, Rn 5131 ff.) oder gem. § 247a S. 4 in einer vorhergehenden HV (→ Videovernehmung in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 3900) gefertigt worden ist. Die Vorführung ist nicht auf bestimmte Zeugen oder Straftaten beschränkt. Sie kann allerdings nicht auf SV analog angewendet werden, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt (Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn 1; KK-Diemer, § 255a Rn 6). Ob die Vorführung der BTA davon abhängt, dass dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist (s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 255 Rn 5) oder ob das, da die Vorschrift des § 255a eine Spezialregelu...

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