Leitsatz

Die Parteien stritten um den Unterhalt für ihr minderjähriges Kind. Zentrales Problem der Entscheidung war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen aufseiten des Unterhaltspflichtigen fiktive Einkünfte zugerechnet werden können.

 

Sachverhalt

Der Beklagte ist der Vater des am 6.4.1990 geborenen Klägers. Er ist außerdem einem weiteren im Jahre 1992 geborenen Kind ggü. unterhaltspflichtig. Aus einer Vollzeittätigkeit erzielt er monatliche Nettoeinkünfte i.H.v. 1.157,69 EUR.

Mit Jugendamtsurkunde vom 5.6.1990 hatte sich der Beklagte zur Zahlung monatlichen Unterhalts an den Kläger i.H.v. 155,00 DM verpflichtet. Nach entsprechender Aufforderung durch das Jugendamt verpflichtete er sich in einer weiteren Jugendamtsurkunde vom 3.8.2004 zur Zahlung von 147,00 EUR monatlich. Zuvor war er vom Kläger zur Auskunftserteilung und Zahlung des sich daraus ergebenden Unterhalts aufgefordert worden. Im Rahmen der Stufenklage verlangte der Kläger nach Erledigung der Auskunftsstufe von dem Beklagten über den mit der Jugendamtsurkunde anerkannten Unterhalt hinaus weiteren Unterhalt i.H.v. 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 der seinerzeit geltenden RegelbetragVO.

Erstinstanzlich ist der Beklagte antragsgemäß verurteilt worden. Seine hiergegen eingelegte Berufung hat das OLG zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die vom OLG zugelassene Revision des Beklagten, mit der er sein Klageabweisungsbegehren weiterverfolgte.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BGH haben die Parteien den Rechtsstreit für die Zeit ab dem 1.8.2008 übereinstimmend für erledigt erklärt.

 

Entscheidung

Der BGH hob die OLG-Entscheidung auf und verwies sie zurück.

In seiner Entscheidung wies er zunächst darauf hin, dass die zur Titulierung des Anspruchs auf Kindesunterhalt errichtete Jugendamtsurkunde einer sog. Nachforderungsklage nicht entgegenstehe. Die Abänderung richte sich dann nach materiellem Recht, wenn der Titel - wie im vorliegenden Fall - einseitig und ohne Mitwirkung des Unterhaltsberechtigten errichtet worden sei. Der Unterhaltsberechtigte sei materiell-rechtlich an die Urkunde des Jugendamts nicht gebunden und könne deshalb uneingeschränkt Abänderung auf der Grundlage der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangen (BGH, Urt. v. 29.10.2003 - XII ZR 115/01, FamRZ 2004, 24; vgl. auch Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl., § 10 Rz. 168).

Der BGH stimmte dem OLG auch insoweit zu, als der Unterhaltsbedarf des seinerzeit noch minderjährigen Klägers jedenfalls den mit der Klage begehrten Regelbetrag nach § 2 der früheren RegelbetragVO erreiche und sich ab Januar 2008 für die Dauer der Minderjährigkeit jedenfalls auf die Höhe des Mindestunterhalts nach § 1612a BGB i.V.m. § 36 Nr. 4c EGZPO belaufe.

Anders als das OLG nahm der BGH aufseiten des Beklagten keine Zurechnung fiktiven Einkommens vor, obgleich die Einkünfte aus seiner Vollzeittätigkeit auch unter Einbeziehung der Überstundenzuschläge noch keine hinreichende Leistungsfähigkeit begründeten. Voraussetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte sei jedoch, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen habe und das bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte. Für die Zumutbarkeitsprüfung seien die Maßstäbe von § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz zu berücksichtigen, wonach die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf 48 Stunden (6 Tage à 8 Stunden) begrenzt sei. Außerdem seien alle maßgeblichen Umstände zu prüfen, so etwa bereits anfallende Überstunden, die Kontaktpflege zu den Kindern und die Belastung durch die eigene Haushaltsführung.

Hinsichtlich der von dem Beklagten angeführten Kreditverpflichtung von 35,00 EUR monatlich für eine gebrauchte Küche rügte der BGH, dass das OLG davon ausgegangen sei, eine Berücksichtigung insoweit habe nicht stattzufinden. Auch er ging im Ergebnis davon aus, die Kreditrate könne unberücksichtigt bleiben, führte hierfür jedoch eine andere Begründung an und vertrat die Auffassung, wegen der geringen Höhe des Gesamtkredits und der laufenden Raten von monatlich 35,00 EUR handele es sich hierbei um Kosten der privaten Lebensführung, die der Unterhaltspflichtige von dem verbleibenden Einkommen zu tragen habe und die aus diesem Grunde unterhaltsrechtlich keine Berücksichtigung finden könnten.

Soweit das OLG den Selbstbehalt des Beklagten wegen der tatsächlich geringeren Wohnkosten herabgesetzt habe, widerspreche dies der Rechtsprechung des Senats, wonach dem Unterhaltspflichtigen ggü. einem minderjährigen Kind der notwendige Selbstbehalt zu belassen sei, auch wenn die Wohnkosten den insoweit im Selbstbehalt berücksichtigten Betrag unterschritten (BGH, Urt. v. 23.8.2006 - XII ZR 26/04, FamRZ 2006, 1664, 1666).

Es unterliege grundsätzlich der freien Disposition des Unterhaltspflichtigen, wie er die ihm zu belassenden, ohnehin knappen Mittel nutze. Ihm sei nicht verwehrt, seine Be...

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