Entscheidungsstichwort (Thema)

Angemessener Selbstbehalt eines im Beitrittsgebiet lebenden Kindesunterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung seines Familienunterhaltsanspruchs gegen seine Ehefrau

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Sicherung des angemessenen Eigenbedarfs eines im Beitrittsgebiet lebenden, gegenüber einem minderjährigen Kind unterhaltspflichtigen Elternteils, dessen eigener Verdienst unter der Selbstbehaltsgrenze liegt, durch den Anspruch auf Familienunterhalt gegen seinen neuen Ehegatten (im Anschluss an BGH, Urt. v. 20.3.2002 - XII ZR 216/00, MDR 2002, 883 = BGHReport 2002, 461 = FamRZ 2002, 742; v. 22.1.2003 - XII ZR 2/00, MDR 2003, 573 = BGHReport 2003, 379 = FamRZ 2003, 363).

 

Normenkette

BGB §§ 1360, 1603 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Moers (Urteil vom 31.08.2002)

OLG Düsseldorf (Urteil vom 29.03.2001)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Senats für Familiensachen des OLG Düsseldorf v. 29.3.2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht für die Zeit ab Dezember 2002

a) die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des AG - Familiengericht - Moers v. 31.8.2002 zurückgewiesen und

b) auf die Anschlussberufung der Klägerin die Jugendamtsurkunde der Stadt Leipzig v. 12.4.1999 ab Dezember 2002 abgeändert hat.

Die weiter gehende Revision des Beklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt im Wege der Abänderungsklage die Heraufsetzung des Unterhalts, den ihr der Beklagte auf Grund einer Jugendamtsurkunde zu zahlen hat.

Die Klägerin, die am 10.12.1984 geboren ist, ist die Tochter des Beklagten. Sie lebt in M. bei ihrer Mutter, die mit dem Beklagten nie verheiratet war. Der Beklagte lebt mit seiner erwerbstätigen Ehefrau, mit der er keine Kinder hat, in L. Er verpflichtete sich zuletzt in der Urkunde Nr. ... des Jugendamts der Stadt L. v. 12.4.1999 der Klägerin gegenüber zur Zahlung von 40,38 % des Regelbetrags ab Juli 1999 (damals: 510 DM) ohne Anrechnung von Kindergeld. Seither zahlt der Beklagte den entsprechenden Unterhaltsbetrag von 206 DM monatlich an die Klägerin.

Der Beklagte erzielte 1998 steuerpflichtige Einnahmen i. H. v. 25.208 DM, seine Ehefrau von 67.752 DM. Im Jahre 1999 verdienten der Beklagte 19.146,51 DM brutto und seine Ehefrau 70.710 DM. Im Jahre 2000 verdiente der Beklagte zumindest brutto 26.855,91 DM, von denen 14.261 DM steuer- und sozialabgabenpflichtig waren. Seine Ehefrau war weiterhin erwerbstätig.

Die Klägerin begehrte mit der Klage zunächst die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 73,96 % des Regelbetrags ab 1.11.1999. Dem gab das Urteil des FamG durch entsprechende Abänderung der Jugendamtsurkunde statt. Hiergegen legte der Beklagte Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung ein. Die Klägerin schloss sich der Berufung des Beklagten an und erstrebte im Wege der Klageerweiterung, den Beklagten in Abänderung der Jugendamtsurkunde zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 385 DM für November und Dezember 1999, von monatlich 375 DM für das Jahr 2000 und von 510 DM ab Januar 2001 zu verurteilen. Das OLG wies die Berufung des Beklagten zurück; hingegen hatte die Anschlussberufung der Klägerin in vollem Umfang Erfolg. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist für die Zeit bis 30.11.2002 unbegründet. Für die Zeit danach, dem Beginn des Monats des Eintritts der Volljährigkeit der Klägerin (vgl. § 1612a Abs. 3 S. 2 BGB), führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.

I.

Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klage gem. § 323 Abs. 4, § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO i. V. m. §§ 60, 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII als zulässig angesehen. Der Zulässigkeit der von der Klägerin erhobenen Klage, die spätestens im zweiten Rechtszug als Abänderungsklage zu qualifizieren ist, steht nicht entgegen, dass es sich bei der abzuändernden Jugendamtsurkunde - wie das OLG von der Revision nicht angegriffen festgestellt hat - um eine einseitige Verpflichtungserklärung des Beklagten handelt, der keine Vereinbarung der Parteien zu Grunde liegt. Zwar wird in diesen Fällen die Anwendbarkeit des § 323 Abs. 4 ZPO zum Teil verneint (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 323 Anm. 47m.N.; Graba, Die Abänderung von Unterhaltstiteln, 2. Aufl., Rz. 105 f.). Dem steht jedoch die eindeutig anders lautende Regelung in § 323 Abs. 4 ZPO entgegen, die nicht voraussetzt, dass der festgesetzte Unterhaltsbetrag auf einer Vereinbarung der Parteien beruht (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.1984 - IVb ZR 21/83, MDR 1985, 216 = FamRZ 1984, 997). Der Kläger kann in diesen Fällen eine Neufestsetzung des Unterhalts nach den gesetzlichen Vorschriften verlangen, weil sich weder der Urkunde selbst noch dem Parteivortrag für beide Seiten verbindliche Vereinbarungen über die Grundlagen der Unterhaltsbemessung entnehmen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1988 -IVb ZR 20/88, MDR 1989, 339 = FamRZ 1989, 172 [174]).

Entgegen der Revision besteht in diesen Fällen der Abänderungsklage somit auch materiell keine Bindung an die tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit der Errichtung der Jugendamtsurkunde. Denn diese sind nicht Geschäftsgrundlage einer Parteivereinbarung geworden, welche an die neuen Verhältnisse anzupassen wäre. Vielmehr richtet sich die Abänderung der Jugendamtsurkunde und die Bemessung des Unterhalts allein nach den zum jeweiligen Zeitpunkt bestehenden Verhältnissen (vgl. Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl., Rz. 5339).

II.

Das OLG hat der Klägerin den jeweiligen Mindestunterhalt nach der so genannten Düsseldorfer Tabelle (Stand 1.7.1999 = FamRZ 1999, 766 ff.) zugesprochen. Hierbei hat es bis einschließlich Dezember 2000 das halbe Kindergeld (125 DM bzw. 135 DM) vom Tabellensatz i. H. v. 510 DM abgezogen. Für die Zeit ab 1.1.2001, dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 1612b Abs. 5 BGB durch Art. 1 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhalts v. 2.11.2000 (BGBl. I, 1479), hat es einen solchen Abzug nicht mehr vorgenommen. Es hat ausgeführt, dass die Barunterhaltspflicht des Beklagten nicht gem. § 1603 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sei. Vielmehr sei sein angemessener Eigenbedarf durch seine hälftige Beteiligung am bereinigten Gesamteinkommen, das er zusammen mit seiner Ehefrau erziele, gesichert.

Dies hält den Angriffen der Revision für die Zeit der Minderjährigkeit der Klägerin stand.

1. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts beträgt der monatliche Nettoverdienst des Beklagten wenigstens 1.512 DM. Aus diesem Einkommen kann der Beklagte die der Klägerin zugesprochenen Unterhaltsbeträge bezahlen, ohne seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden. Zwar verbleiben dem Beklagten nach Zahlung des Kindesunterhalts von 510 DM - ohne Berücksichtigung des Kindergelds - lediglich rund 1.000 DM (1.512 DM - 510 DM). Auch liegt dieser Betrag rechnerisch unter seinem angemessenen Selbstbehalt, den das OLG unter Berücksichtigung des Wohnsitzes des Beklagten im Beitrittsgebiet in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Heranziehung der Dresdner Leitlinien Nr. 16 mit 1.645 DM veranschlagt hat. Dieser Betrag des angemessenen Selbstbehalts kann im Übrigen noch um die infolge gemeinsamer Haushaltsführung mit seiner Ehefrau eintretende Ersparnis des Beklagten gemindert werden, die das OLG - unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Beitrittsgebiet - in revisionsrechtlich zulässiger Weise mit 365 DM veranschlagt hat, bei seiner Berechnung im Ergebnis jedoch hat dahinstehen lassen. Der angemessene Selbstbehalt des Beklagten beläuft sich danach noch auf 1.280 DM (angemessener Eigenbedarf: 1.645 DM abzgl. Haushaltsersparnis von 365 DM). Der dadurch entstehende Differenzbetrag von 280 DM wird aber durch den Familienunterhaltsanspruch des Beklagten gegen seine Ehefrau nach §§ 1360, 1360a BGB ausgeglichen, so dass der angemessene Eigenbedarf des Beklagten gesichert ist (s. unten stehende Berechnung).

Entgegen der Auffassung der Revision ist der Anspruch des Beklagten auf Familienunterhalt bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit nicht erst im Rahmen einer erweiterten Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, sondern auch schon bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 1603 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.2002 - XII ZR 216/00, MDR 2002, 883 = BGHReport 2002, 461 = FamRZ 2002, 742m.N.). Der Umstand, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil verheiratet ist, ist zu berücksichtigen, auch wenn dessen Ehegatte dem Kind in keiner Weise unterhaltspflichtig ist. Dies folgt daraus, dass das Gesetz in § 1603 BGB auf die tatsächlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten abstellt und seine Unterhaltspflicht danach bemisst, ob und inwieweit er im Stande ist, den begehrten Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.2002 - XII ZR 216/00, BGHReport 2002, 461 = FamRZ 2002, 742m.N.; v. 18.10.2000 - XII ZR 191/98, FamRZ 2001, 1065 [1067 f.]). Aus diesem Grunde ist hier die Sicherstellung des eigenen Unterhalts des Beklagten in seiner Ehe zu berücksichtigen:

Zwar lässt sich der in einer intakten Ehe bestehende Familienunterhaltsanspruch gem. §§ 1360, 1360a BGB nicht ohne weiteres nach den zum Ehegattenunterhalt nach Trennung oder Scheidung entwickelten Grundsätzen bemessen. Denn er ist nach seiner Ausgestaltung nicht auf die Gewährung einer - frei verfügbaren - laufenden Geldrente für den jew. anderen Ehegatten, sondern vielmehr als gegenseitiger Anspruch der Ehegatten darauf gerichtet, dass jeder von ihnen seinen Beitrag zum Familienunterhalt entsprechend seiner nach dem individuellen Ehebild übernommenen Funktion leistet. Seinem Umfang nach umfasst er gem. § 1360a BGB alles, was für die Haushaltsführung und die Deckung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und der gemeinsamen Kinder erforderlich ist. Sein Maß bestimmt sich aber nach den ehelichen Lebensverhältnissen, so dass § 1578 BGB als Orientierungshilfe herangezogen werden kann (BGH, Urt. v. 22.1.2003 - XII ZR 2/00, MDR 2003, 573 = BGHReport 2003, 379 = FamRZ 2003, 363 [366 f.]). Es begegnet deshalb keinen Bedenken, den im vorliegenden Fall maßgeblichen Anspruch auf Familienunterhalt in einem Geldbetrag zu veranschlagen und diesen in gleicher Weise wie den Unterhaltsbedarf des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten zu ermitteln:

Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen betrug das gemeinsame bereinigte Nettoeinkommen des Beklagten und seiner Ehefrau im Jahre 1999 monatlich durchschnittlich 4.485,05 DM, im Jahre 2000 4.812,72 DM und ab 2001 monatlich 5.060,24 DM. Dem Beklagten steht davon im Rahmen des Familienunterhalts nach §§ 1360, 1360a BGB rein rechnerisch jew. die Hälfte zu, 1999 mithin 2.242,50 DM und in den folgenden Jahren 2.406 DM bzw. 2.530 DM. Bei Zahlung der ausgeurteilten Unterhaltsbeträge an die Klägerin i. H. v. 510 DM bleibt der angemessene Eigenbedarf des Beklagten somit gesichert, ohne dass andererseits der Hälfteanteil seiner Ehefrau geschmälert und sie damit indirekt zu Unterhaltsleistungen für das Kind ihres Ehemannes herangezogen würde.

2. Nach alledem hat das OLG mangels Gefährdung des angemessenen Eigenbedarfs des Beklagten zu Recht eine gesteigerte Unterhaltspflicht des Beklagten nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB dahinstehen lassen und brauchte infolgedessen auch nicht zu prüfen, ob eine solche gesteigerte Unterhaltspflicht hier nach § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB entfällt, weil die das Kind betreuende Mutter als andere unterhaltspflichtige Verwandte im Sinne dieser Vorschrift in Betracht kommt. Dass hier ausnahmsweise die betreuungspflichtige Mutter der Klägerin selbst zu deren Barunterhalt beitragen müsste, weil anderenfalls ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern aufträte (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.2002 - XII ZR 216/00, MDR 2002, 883 = BGHReport 2002, 461 = FamRZ 2002, 742m.N.), ist vom Beklagten weder dargelegt noch auch nur ansatzweise sonst ersichtlich.

3. Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das OLG, soweit der Unterhaltsanspruch der Klägerin ab Dezember 2002 betroffen ist. Die Klägerin ist in diesem Monat volljährig geworden. Ab Beginn dieses Monats (vgl. § 1612a Abs. 3 S. 2 BGB) hat sich daher möglicherweise ihr Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten verringert. Zwar hat sich einerseits der Unterhaltsbedarf der Klägerin auf Grund ihrer Volljährigkeit erhöht; andererseits ist jedoch mit Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin, auch wenn es sich bei ihr um ein i. S. v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB priviligiertes Kind handeln sollte, die Mutter der Klägerin dieser gegenüber grundsätzlich ebenfalls barunterhaltspflichtig geworden (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.2002 - XII ZR 34/00, MDR 2002, 826 = BGHReport 2002, 498 = FamRZ 2002, 815 [817]). Die Zurückverweisung gibt den Parteien Gelegenheit, zur Frage der Barunterhaltspflicht der Mutter der Klägerin vorzutragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1064830

NJW 2003, 3770

BGHR 2004, 19

FamRZ 2004, 24

FPR 2004, 27

MDR 2004, 942

FamRB 2004, 38

FamRB 2004, 44

ZFE 2004, 20

JAmt 2004, 93

LMK 2004, 24

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