Rz. 101

Obwohl die nur fehlerhafte Anhörung im Gegensatz zur unterlassenen Beteiligung des Betriebsrats nicht von der Unwirksamkeitsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG erfasst ist, wird auch diese Konstellation vom BAG unter dieser Vorschrift subsumiert. Dies folgt aus Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wird dem Betriebsrat die Möglichkeit gegeben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Um diesem Sinn und Zweck zu entsprechen, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine Absicht, zu kündigen, rechtzeitig vorher mitzuteilen und den Betriebsrat so zu informieren, dass er sich über die Person des Arbeitnehmers und die Kündigungsgründe ein eigenes Bild machen kann. Nur unter diesen Voraussetzungen ist von einer wirksamen Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auszugehen. Die Anhörung ist also fehlerhaft, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht richtig beteiligt hat, insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ausreichend nachgekommen ist (BAG, Urteil v. 19.7.2012, 2 AZR 352/11[1]; BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 316/04[2]; BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 461/03[3]; BAG, Urteil v. 29.1.1997, 2 AZR 292/96[4]; BAG, Urteil v. 31.1.1996, 2 AZR 181/95). Die erforderliche Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG vollzieht sich in 2 aufeinander folgenden Verfahrensabschnitten. Diese sind nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich voneinander abzugrenzen. So hat zunächst der Arbeitgeber unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG beschriebenen Erfordernisse das Anhörungsverfahren einzuleiten. Im Anschluss daran ist es Aufgabe des Betriebsrats, sich mit der beabsichtigten Kündigung zu befassen und darüber zu entscheiden, ob und wie er Stellung nehmen will. Die Trennung dieser beiden Verantwortungsbereiche ist wesentlich für die Entscheidung der Frage, wann eine Kündigung i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG "ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen" und deswegen unwirksam ist. Nur wenn dem Arbeitgeber bei der ihm obliegenden Einleitung des Anhörungsverfahrens ein Fehler unterläuft, liegt darin eine Verletzung des § 102 Abs. 1 BetrVG mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Mängel, die im Verantwortungsbereich des Betriebsrats entstehen, führen grundsätzlich auch dann nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Solche Fehler gehen schon deshalb nicht zulasten des Arbeitgebers, weil der Arbeitgeber keine wirksamen rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat (BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 316/04[5]).

 

Rz. 102

Die Unwirksamkeitsfolge tritt also nur dann ein, wenn die vorkommenden Fehler der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur richtigen Bezeichnung der Person des Arbeitnehmers, zur Angabe der Kündigungsfrist bzw. des Beendigungstermins nicht nachkommt bzw. unzureichende, bewusst wahrheitswidrige oder unvollständige Informationen über die Kündigungsgründe weitergibt.

 

Rz. 103

Mängel aus der Sphäre des Betriebsrats, also Fehler, die dem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats zuzurechnen sind, wirken sich grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitgebers aus und führen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG (BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 461/03[6]). Es ist Sache des Betriebsrats, ob und wie er im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG tätig wird. Der Arbeitgeber ist nicht befugt, den Betriebsrat anzuhalten, seine Stellungnahme zu einer beabsichtigten Kündigung aufgrund einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung abzugeben. Unerheblich ist, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß oder den Umständen nach vermuten kann, dass die Behandlung der Angelegenheit durch den Betriebsrat nicht fehlerfrei gewesen ist (BAG, Urteil v. 15.5.1997, 2 AZR 519/96[7]; BAG, Urteil v. 13.6.1996, 2 AZR 745/95; BAG, Urteil v. 16.1.2003, 2 AZR 707/01[8]; BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 316/04[9]). Auf diesen subjektiven Umstand kann es aus Gründen der Rechtssicherheit schon deshalb nicht ankommen, weil sonst die Gültigkeit des Anhörungsverfahrens von dem Zufall abhinge, welche Kenntnis der Arbeitgeber von den betriebsratsinternen Vorgängen hat. Wegen dieser Zufälligkeiten kann selbst unter besonderen Umständen, etwa bei Offensichtlichkeit des Verfahrensfehlers, dem Arbeitgeber die Fehlerhaftigkeit der Willensbildung des Betriebsrats nicht zugerechnet werden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn der Arbeitgeber den Fehler bei der Willensbildung des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst bzw. beeinflusst hat (BAG, Urteil v. 22.11.2012, 2 AZR 732/11[10]; BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 461/03[11]).

 
Praxis-Beispiel

Solche Mängel...

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