Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung. Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (redaktionell)

Betriebsratsanhörung – Teilnahme des Arbeitgebers an der BR-Sitzung – Abstimmungsverhalten

 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 24.08.1995; Aktenzeichen 13 Sa 743/95)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 31.03.1995; Aktenzeichen 3 Ca 7703/94)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. August 1995 – 13 Sa 743/95 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 2. Mai 1994 in dem Maler- und Lackiererbetrieb der Beklagten (ca. 30 Arbeitnehmer) als Hilfsarbeiter beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 20. Oktober 1994 zum 2. November 1994 fristgerecht. Ausweislich des Protokolls über die Anhörung des Betriebsrats vom 14. Oktober 1994 hat der persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten, Herr R., an der Beschlußfassung des Betriebsrats über die Zustimmung zur Kündigung des Klägers teilgenommen und mit dem Betriebsrat hierüber abgestimmt. Laut Protokoll des Betriebsrats vom 27. Januar 1995 will der Betriebsrat bei der Beschlußfassung am 14. Oktober 1994 durch die Anwesenheit von Herrn R. nicht beeinflußt worden sein, seine Anwesenheit sei ohne Bedeutung gewesen und es wäre der gleiche Beschluß auch dann gefaßt worden, wenn Herr R. nicht zugegen gewesen wäre.

Der Kläger hat gegenüber der Kündigung geltend gemacht, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Beklagte habe mit der Kündigung nicht bis zum Ablauf der Wochenfrist gewartet, so daß die Unwirksamkeit der Beschlußfassung in Gegenwart des persönlich haftenden Gesellschafters der Beklagten zu ihren Lasten gehe. Es sei auch von einer Beeinflussung des Betriebsrats auszugehen, weil der Komplementär der Beklagten bei der Beschlußfassung mit abgestimmt habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß die Kündigung der Beklagten vom 20. Oktober 1994 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis auch über den 2. November 1994 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Beschlußfassung des Betriebsrats in Gegenwart des Komplementärs R. sei nicht zu beanstanden; dieser habe den Betriebsrat bei der Abstimmung nicht beeinflußt, vielmehr seien die Beschwerden über den Kläger aus der Belegschaft selbst gekommen. Andere Mitarbeiter hätten die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger abgelehnt und seine Entlassung angeregt; der Kläger sei wegen der der Kündigung zugrundeliegenden Vorfälle (unzulängliche Arbeit, mangelnder Fleiß) sogar vom Betriebsratsvorsitzenden K. abgemahnt worden. Tatsächlich habe der Kläger die Ableistung bestimmter Arbeiten verweigert und trotz Zuredens nur widerwillig erledigt mit der Bemerkung, er sei kein Sklave.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger eine Entscheidung nach seinem Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht von der Wirksamkeit der dem Kläger ausgesprochenen Kündigung ausgegangen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentliche wie folgt begründet: Der Kläger stütze die Klage ausschließlich auf die nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats vor Ausspruch seiner Entlassung; ein Fehler im Anhörungsverfahren liege allenfalls im Bereich der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Betriebsrates. Mängel in der Willensbildung des Betriebsrats könnten nicht dem Arbeitgeber angelastet werden; das gelte jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber nicht durch unsachgemäßes Verhalten Mängel bei der Beteiligung des Betriebsrats veranlaßt habe. Davon sei vorliegend auszugehen. Der Betriebsrat habe es in der Hand gehabt, den Arbeitgeber von seiner Beratung und Abstimmung auszuschließen. Im übrigen habe der Betriebsrat in seiner nachträglichen Verlautbarung zum Ausdruck gebracht, der gleiche Beschluß wäre auch dann gefaßt worden, wenn der Komplementär der Beklagten nicht zugegen gewesen wäre.

II. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts tritt der Senat bei. Die Rüge der Revision, § 102 Abs. 1 BetrVG sei verletzt, weil der Komplementär der Beklagten an der Abstimmung des Betriebsrats teilgenommen und die Kündigung vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG ausgesprochen habe, greift nicht durch.

1. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden (vgl. u.a. BAGE 27, 209 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972 mit zustimmender Anmerkung von Meisel und Urteil vom 24. März 1977 – 2 AZR 289/76 – AP Nr. 12, a.a.O., mit zustimmender Anmerkung von Götz Hueck), die vor jeder vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung erforderliche Anhörung des Betriebsrates vollziehe sich gemäß § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG in zwei aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitten; diese seien nach ihrem Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich voneinander abzugrenzen; so habe zunächst der Arbeitgeber unter Beachtung der in § 102 Abs. 1 BetrVG umschriebenen Erfordernisse das Anhörungsverfahren einzuleiten und im Anschluß daran sei es Aufgabe des Betriebsrates, sich mit der beabsichtigten Kündigung zu befassen und darüber zu entscheiden, ob und in welchem Sinne er Stellung nehmen wolle. Die Trennung der beiden Verantwortungsbereiche sei wesentlich für die Entscheidung der Frage, wann eine Kündigung im Sinne des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG „ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochen”, d.h. fehlerhaft und deswegen unwirksam sei. Da im Regelungsbereich des § 102 Abs. 1 BetrVG sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Betriebsrat Fehler unterlaufen könnten, ermögliche diese Abgrenzung eine sachgerechte Lösung, wem im einzelnen der Fehler zuzurechnen sei. Nur wenn der Arbeitgeber bei der ihm obliegenden Einleitung des Anhörungsverfahrens einen Fehler begehe, liege darin eine Verletzung des § 102 Abs. 1 BetrVG, so daß nur in diesem Falle die Kündigung unwirksam sei, während dies bei Fehlern im Verantwortungsbereich des Betriebsrates nicht der Fall sei.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 24. März 1977 – 2 AZR 289/76 – AP, a.a.O.) entschieden, die Anwesenheit des Arbeitgebers anläßlich der Betriebsratssitzung, in der über die Kündigungsabsicht abgestimmt werde, widerspreche zwar dem Grundsatz, daß Betriebsratssitzungen nicht öffentlich seien (§ 30 Satz 4 BetrVG), das Gesetz gehe aber auch von der Teilnahmemöglichkeit des Arbeitgebers an Betriebsratssitzungen in § 29 Abs. 4 BetrVG aus. Da der Betriebsrat im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG seine gesetzlichen Aufgaben selbständig wahrzunehmen und eigenverantwortlich darüber zu entscheiden habe, ob und in welcher Form er zu der Kündigung Stellung nehmen wolle, sei es dem Betriebsrat überlassen, ob er hierüber in Anwesenheit des Arbeitgebers entscheiden wolle; es sei gegebenenfalls auch Sache des Betriebsrates, seine Abstimmung zurückzustellen, bis der Arbeitgeber die Sitzung verlassen habe. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn das Verhalten des Betriebsrats durch ein unsachgemäßes Vorgehen des Arbeitgebers veranlaßt worden sei; ein solches liege nicht in der Teilnahme an der Beschlußfassung des Betriebsrats.

2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, zumal sie nahezu einhellige Zustimmung in der einschlägigen Literatur gefunden hat (vgl. Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz 595; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 102 Rz 23; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz 80; KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 BetrVG Rz 95; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 289; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz. 120, 231; GK-Kraft, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz 71; Stege/Weinspach, BetrVG, 7. Aufl., § 102, Rz 103; kritisches Unbehagen: Kittner in Anm. zu EzA § 102 BetrVG Nr. 28).

a) Der vorliegende Fall, in dem der Arbeitgeber außer seiner Teilnahme auch noch mitgestimmt hat, gibt keine Veranlassung, abweichend zu entscheiden.

Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat nach § 561 ZPO verbindlich festgestellt, objektiv sei eine Beeinflussung des Betriebsrates nicht ersichtlich, zumal die Beschwerden über den Kläger aus der Belegschaft gekommen seien. Diese Feststellung wird von der Revision nicht angegriffen. Das Landesarbeitsgericht geht ferner davon aus, der Betriebsrat habe in der nachträglichen schriftlichen Verlautbarung vom 27. Januar 1995 zum Ausdruck gebracht, der gleiche Zustimmungsbeschluß wäre auch dann gefaßt worden, wenn der Komplementär der Beklagten nicht zugegen gewesen wäre. Auch die dieser Würdigung zugrundeliegende Feststellung, nämlich daß der Betriebsrat sich in diesem Sinne nachträglich ausgesprochen hat, wird von der Revision nicht in Zweifel gezogen, vielmehr spricht sie selbst von einer diesbezüglichen Feststellung des Berufungsgerichts. Soweit die Revision bemängelt, die schriftliche Verlautbarung sei nur in Kopie vorgelegt worden, will sie nunmehr geltend machen, die Nichtbeeinflussung des Betriebsrats sei mithin nicht bewiesen. Das war jedoch, wie das Landesarbeitsgericht feststellt, unbestritten und bedurfte deshalb keines Beweises mehr. Tatsächlich hat auch der Kläger weder erst- noch zweitinstanzlich zu diesem Vorbringen einschließlich des Protokolls vom 27. Januar 1995 schriftsätzlich Stellung genommen, so daß das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgehen durfte, diese Stellungnahme des Betriebsrats sei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unstreitig.

Soweit das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung dieser Umstände allein in der Tatsache der Mitabstimmung durch den Komplementär kein unsachgemäßes Vorgehen der Beklagten bei der Anhörung des Betriebsrats gesehen hat, ist dem zuzustimmen. Durch das Mitabstimmen für ihre Kündigungsabsicht hat die Beklagte nicht mehr zum Ausdruck gebracht, als sie schon durch die Einleitung der Kündigungsanhörung dem Betriebsrat mitgeteilt hatte, nämlich daß sie beabsichtige, dem Kläger fristgemäß zu kündigen. Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht festgestellt, daß das Abstimmungsverhalten des Komplementärs der Beklagten etwa eine einschlägige Kettenreaktion der Betriebsratsmitglieder zur Folge hatte; im Gegenteil: Es geht von der Feststellung aus, daß die Absicht zur Kündigung aus der Belegschaft kam. Diesbezüglich hat der Kläger nicht einmal bestritten, daß der Betriebsratsvorsitzende ihn selbst wegen unzulänglicher Arbeit abgemahnt hatte. Zumindest unter solchen Umständen führt das Abstimmungsverhalten des Komplementärs der Beklagten nicht zur Annahme, dieser Mangel im Anhörungsverfahren sei mit der Folge des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG der Beklagten anzulasten.

b) Entgegen der Meinung der Revision brauchte die Beklagte auch nicht die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG abzuwarten, da eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorlag. Das ist mit hinreichender Deutlichkeit dem Protokoll vom 14. Oktober 1994 zu entnehmen, wonach im Anschluß an die Mitteilung der Kündigungsgründe durch den Komplementär der Beklagten vom Betriebsrat in fünf Einzelpunkten Feststellungen zum Vorliegen dieser Kündigungsgründe durch namentlich bezeichnete Mitarbeiter der Beklagten getroffen wurden. Alsdann heißt es im Protokoll, die Betriebsräte hätten die angegebenen Punkte diskutiert und festgestellt, daß der Bauleiter, der Mängel in der Arbeit des Klägers festgestellt und gerügt hatte, gerade wegen seiner ausländischen Herkunft nie Probleme mit derartigen Mitarbeitern gehabt habe und alsdann heißt es: Die Betriebsräte stimmten alle der sofortigen Entlassung zu. Damit liegt eine abschließende und zustimmende Stellungnahme des Betriebsrates ohne jeden Vorbehalt vor (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1987 – 2 AZR 176/86 – AP Nr. 47 zu § 102 BetrVG 1972), so daß die Beklagte ohne Verstoß gegen ihre Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG die Kündigung aussprechen konnte. Da weitere Unwirksamkeitsgründe nicht geltend gemacht sind, ist die Klage zu Recht vom Landesarbeitsgericht abgewiesen worden.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Wolter, Engelmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093095

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