Rz. 42

Der vom Arbeitgeber als maßgebend erachtete Sachverhalt ist dem Betriebsrat unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, zu beschreiben. Werturteile (z. B. "fehlende Teamfähigkeit"), pauschale oder stichwortartige Angaben (z. B. "wiederholtes Zuspätkommen") genügen nicht (vgl. aber für Kündigungen während der Wartezeit § 1 Abs. 1 KSchG). Der Arbeitgeber muss die die Kündigung begründenden Umstände so genau und umfassend darlegen, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden (BAG, Urteil v. 15.11.1995, 2 AZR 974/94[1]; BAG, Urteil v. 22.9.1994, 2 AZR 31/94[2]). Der Betriebsrat muss vom Arbeitgeber so viel erfahren, dass er – auch unter Rückgriff auf vorhandene Kenntnisse – die ihm in § 102 BetrVG eingeräumten Rechte bezogen auf die konkret beabsichtigte Kündigung ausüben kann. Er muss also selbst dann, wenn er alles weiß, was der Arbeitgeber weiß – oder vielleicht sogar noch mehr – vom Arbeitgeber zumindest erfahren, auf welchen kündigungsrechtlich relevanten Tatsachenkomplex die Kündigung gestützt wird. Hat der Arbeitgeber diesen Tatsachenkomplex umrissen, kann er im Prozess alle dazugehörigen Tatsachen vortragen, die er entweder dem Betriebsrat mitgeteilt hat oder die dem Betriebsrat bekannt waren (BAG, Urteil v. 11.12.2003, 2 AZR 536/02[3]). Teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat z. B. mit, der Arbeitnehmer solle wegen eines bestimmten näher bezeichneten Ereignisses gekündigt werden, und weiß der Betriebsrat – etwa aufgrund einer Vorbefassung –, welche konkreten Vorgänge damit gemeint sind, so ist der Arbeitgeber mit den dem Betriebsrat bekannten Einzelheiten im Prozess nicht präkludiert, auch wenn die Einzelheiten des Hergangs nicht noch einmal ausdrücklich mitgeteilt wurden. Es kommt darauf an, dass für den Betriebsrat der "Kündigungsgrund" im Sinne eines aus mehreren Tatsachen und einer groben rechtlichen Einordnung gebildeten Begründungszusammenhangs erkennbar wird, auf den der Arbeitgeber sich stützen will. Eine weitere Erläuterung und Konkretisierung dem Betriebsrat rechtzeitig mitgeteilter Kündigungsgründe ohne wesentliche Veränderung des Kündigungssachverhalts ist also im Kündigungsschutzprozess möglich (BAG, Urteil v. 27.2.1997, 2 AZR 302/96[4]; BAG, Urteil v. 7.11.1996, 2 AZR 720/95).

 
Hinweis

Über die erforderlichen Tatsachenangaben hinaus braucht der Arbeitgeber dem Betriebsrat weder Unterlagen noch Beweismaterial zur Verfügung zu stellen, noch ihm Einsichtnahme in die Personalakten des betroffenen Arbeitnehmers zu geben (BAG, Urteil v. 28.6.2007, 6 AZR 750/06[5]; BAG, Urteil v. 6.2.1997, 2 AZR 265/96[6]; BAG, Urteil v. 26.1.1995, 2 AZR 386/94[7]).

 

Rz. 43

Der Arbeitgeber kommt seiner Unterrichtungspflicht nicht nach, wenn er aus seiner Sicht dem Betriebsrat bewusst unrichtige oder unvollständige Sachdarstellungen unterbreitet (BAG, Urteil v. 26.3.2015, 2 AZR 417/14[8]; BAG, Urteil v. 23.10.2014, 2 AZR 736/13[9]) oder die Kündigungsgründe einseitig und verfälschend darstellt (LAG Köln, Urteil v. 17.12.2008, 3 Sa 1194/08). Dies ist insbesondere der Fall, wenn dem Betriebsrat Scheingründe unter bewusstem Verschweigen der wahren Kündigungsgründe mitgeteilt werden (BAG, Urteil v. 9.3.1995, 2 AZR 461/94[10]) oder der Arbeitgeber bewusst ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluss bestimmende Tatsachen vorenthält, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhalts darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrunds geben (BAG, Urteil v. 18.5.1994, 2 AZR 920/93[11]; BAG, Urteil v. 22.9.1994, 2 AZR 31/94[12]). Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit soll im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Offenheit und Ehrlichkeit gewährleisten und verbietet es, dem Betriebsrat Informationen zu geben, bzw. ihm vorzuenthalten, aufgrund derer bzw. ohne die bei ihm ein falsches Bild über den Kündigungssachverhalt entstehen könnte. Schildert der Arbeitgeber dem Betriebsrat bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige – und damit irreführende – Kündigungssachverhalte, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung damit unwirksam (BAG, Urteil v. 16.7.2015, 2 AZR 15/15[13];BAG, Urteil v. 31.7.2014, 2 AZR 407/13[14]; BAG, Urteil v. 10.4.2014, 2 AZR 684/13[15]).

 

Rz. 43a

Eine bloß vermeidbare oder unbewusste Fehlinformation führt dagegen noch nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung (BAG, Urteil v. 26.3.2015, 2 AZR 417/14[16]; BAG, Urteil v. 21.11.2013, 2 AZR 797/11[17]).

Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG, Urteil v. 16.7.2015, 2 AZR 15/15).

 

Rz. 44

Die dargestellten Grundsätze gelten auch, wenn der betroffene Arbeitnehmer noch keinen Kündigungsschutz nach dem Kü...

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