Rz. 3

§ 88 BetrVG ist innerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes im dritten Abschnitt des vierten Teils verankert. In systematischer Hinsicht bezieht sich die Norm also allein auf soziale Angelegenheiten. Zu den sozialen Angelegenheiten werden alle Angelegenheiten gezählt, die durch Tarifvertrag regelbar sind[1]. Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass Betriebsvereinbarungen im Grundsatz jede regelungsbedürftige Angelegenheit für einen Betrieb betreffen können. So kann z. B. auch ein Einstellungsversprechen als Abschlussnorm grundsätzlich zulässiger Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (ArbG Paderborn, Urteil v. 5.2.2015, 5 Ca 1390/14). Die Betriebspartner sind auch befugt, den Regelungsbereich der mitbestimmungspflichtigen Tatbestände zu erweitern. Arbeitgeber und Betriebsrat haben eine umfassende Regelungskompetenz, da § 88 BetrVG Ausdruck eines Grundprinzips der Betriebsverfassung ist (BAG, Urteil v. 12.12.2006, 1 AZR 96/06). Die umfassende Regelungskompetenz ergibt sich zum einen aus der Entstehungsgeschichte der Norm[2]. Zum anderen ist die Vorschrift des § 28 SprAuG zur Begründung heranzuziehen, wonach Arbeitgeber und Sprecherausschuss Richtlinien über den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der leitenden Angestellten vereinbaren können. Nach § 28 Abs. 2 SprAuG gilt der Inhalt der Richtlinien für die Arbeitsverhältnisse unmittelbar und zwingend, soweit dies zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuss vereinbart ist. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dem Sprecherausschuss eine größere Regelungskompetenz als dem Betriebsrat zugestehen wollte.

 

Rz. 3a

Sprüche der Einigungsstelle müssen die Grenzen des sich aus § 94 Abs. 2 BetrVG ergebenden Mitbestimmungsrechts wahren und dürfen das eingeräumte Ermessen nicht überschreiten (BAG, Beschluss v. 14.1.2014, 1 ABR 49/12). Die Einigungsstelle ist nicht befugt, im Rahmen eines streitigen Spruchs Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu erweitern. Hat die Einigungsstelle diesen Rechtsrahmen überschritten und spricht sie dem Betriebsrat mehr Mitbestimmungsrechte zu, als ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz zustehen, ist der entsprechende Einigungsstellenspruch rechtsunwirksam (BAG, Beschluss v. 15.5.2001, 1 ABR 39/00; BAG, Beschluss v. 20.7.1999, 1 ABR 66/98). Das in § 76 Abs. 6 BetrVG geregelte Einigungsstellenverfahren ermöglicht es den Betriebsparteien aber, in den Gegenständen der freiwilligen Mitbestimmung ihre Einigung durch einen Spruch der Einigungsstelle zu ersetzen. Ein im freiwilligen Einigungsstellenverfahren nach § 76 Abs. 6 BetrVG ergangener Spruch der Einigungsstelle vermag das Rechtsverhältnis der Betriebsparteien in der zu regelnden Angelegenheit aber nur dann verbindlich auszugestalten, wenn diese sich dem Spruch vorher unterworfen oder ihn nachträglich angenommen haben. Für den Fall, dass die Einigungsstelle nach dem ausdrücklich erklärten Willen der Betriebsparteien eine teilmitbestimmte Angelegenheit abschließend regeln und sich damit bei der Erfüllung ihres Regelungsauftrags gerade nicht im gesetzlich mitbestimmungspflichtigen Rahmen halten soll, bedarf der Spruch der Einigungsstelle für seine Verbindlichkeit ebenfalls nach § 76 Abs. 6 Satz 2 BetrVG der wirksamen Unterwerfung oder der nachträglichen Annahme beider Betriebsparteien. Aufseiten des Betriebsrats ist hierzu ein vorheriger Beschluss erforderlich[3]

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Rz. 4

Für die Durchführung einer freiwilligen Betriebsvereinbarung ist auf § 77 BetrVG zurückzugreifen. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG steht grundsätzlich dem Arbeitgeber für die zwischen ihm und dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen die Durchführungskompetenz zu. Die Betriebsvereinbarung kann nach § 77 Abs. 5 BetrVG grundsätzlich ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von 3 Monaten gekündigt werden. Arbeitgeber und Betriebsrat können eine Vereinbarung über die beschränkte Wirkung einer Kündigung treffen sowie die Kündbarkeit der Betriebsvereinbarung gänzlich ausschließen. Freiwillige Betriebsvereinbarungen entfalten mit Ablauf der Kündigungsfrist keine Nachwirkung[4]. So stellt z. B. auch eine Betriebsvereinbarung, die ausschließlich bestimmte Verhandlungspflichten der Betriebsparteien mit dem Ziel festlegen, eine zeitnahe Einigung über einen zwingend mitbestimmten Gegenstand zu erzielen, eine freiwillige Angelegenheit dar, die keine Nachwirkung entfaltet[5]. Die Vereinbarung einer Nachwirkung ist jedoch möglich. Eine derartige Vereinbarung ist in der Regel so auszulegen, dass die Nachwirkung auch einseitig beendet werden kann. Durch den Inhalt einer nachwirkenden Betriebsvereinbarung kann nicht von den tariflichen Vorschriften abgewichen werden. Durch eine Nachwirkung soll für den Zeitraum bis zur Neuregelung ein regelungsloser Zustand vermieden werden. Ein solcher kann aber für tarifunterworfene Arbeitsverhältnisse nicht eintreten (BAG, Urteil v. 5.5.2015, 1 AZR 806/13).

 

Rz. 5

Beim Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung ist der Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG

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