Rz. 667

Eine Kündigung ist aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in einem Betrieb entgegenstehen.

4.2.1 Betriebliche Erfordernisse

 

Rz. 668

Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, den Begriff der betrieblichen Erfordernisse zu konkretisieren. Nach einhelliger Auffassung setzt er jedenfalls einen Überhang an Arbeitskräften im Betrieb voraus.[1] Die Kündigung ist daher nur die Reaktion auf eine Verringerung des Arbeitsvolumens und auf den Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten. Ihr voraus gehen zum einen gestaltende unternehmerische Entscheidungen auf der Grundlage der Geschäfts- und Unternehmenspolitik und zum anderen die unternehmerische Entscheidung über die personelle Umsetzung des Unternehmenskonzepts. Diese Differenzierung ist für die gerichtliche Kontrolldichte einer betriebsbedingten Kündigung erheblich: Das Bundesarbeitsgericht stellt das hinter einer Kündigung stehende unternehmerische Konzept grds. nicht infrage, sondern unterwirft nur die Kündigung selbst einer gerichtlichen Kontrolle.

[1] KR/Griebeling/Rachor, 11. Aufl. 2016, § 1 KSchG, Rz. 514; APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 454; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 220; Löwisch/Spinner/Wertheimer, KSchG, 10. Aufl. 2013, § 1 KSchG, Rz. 303.

4.2.1.1 Unternehmerische Entscheidung

4.2.1.1.1 Unternehmerische Entscheidungen auf der Gestaltungsebene

 

Rz. 669

Jeder Kündigung geht regelmäßig eine konzeptionelle unternehmerische Entscheidung voraus, die Auswirkungen auf die Entwicklung von Personalbeständen hat. Nach der Rechtsprechung des BAG ist unter einer unternehmerischen Entscheidung die Bestimmung der Unternehmenspolitik zu verstehen, die der Geschäftsführung zugrunde liegt (BAG, Urteil v. 24.4.1997, 2 AZR 352/96[1]). Der Arbeitgeber trifft aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen oder fiskalischer oder organisatorischer Überlegungen eine Entscheidung, die sich letztlich auf die Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirkt (BAG, Urteil v. 22.3.2003, 2 AZR 326/02[2]). Diese Entscheidung begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 1 3. Alt. KSchG, wenn sie sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt (BAG, Urteil v. 13.3.2008, 2 AZR 1037/06[3]).

 

Rz. 670

Das Bundesarbeitsgericht prüft die "freie unternehmerische Entscheidung" grds. nicht darauf, ob sie notwendig, sinnvoll oder zweckmäßig ist. Nach der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialordnung trägt der Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung des Betriebs. Entsprechend ist er aufgrund seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG grds. bis an die Grenze der Willkür berechtigt, seine betrieblichen Aktivitäten zu gestalten, einzuschränken oder bestimmte bisher in seinem Betrieb verrichtete Arbeiten an Dritte fremd zu vergeben (BAG, Urteil v. 31.7.2014, 2 AZR 422/13[4]; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 379/12[5]). Hierzu gehört auch das Recht, sein Unternehmen aufzugeben bzw. selbst darüber zu entscheiden, welche Größenordnung es haben und welche unternehmerischen Ziele es verfolgen soll (BAG, Urteil v. 12.11.1998, 2 AZR 91/98[6]), ebenso die Festlegung, an welchem Standort welche arbeitstechnischen Zwecke verfolgt werden sollen (BAG, Urteil v. 27.9.2001, 2 AZR 246/00[7]). Auch kann der Arbeitgeber frei darüber entscheiden, ob er infolge einer Personalreduzierung z. B. qualitative Abstriche oder verlängerte Bearbeitungszeiten in Kauf nimmt (BAG, Urteil v. 27.4.2017, 2 AZR 67/17[8]). Dementsprechend kann ihn das gesetzliche Kündigungsschutzrecht nicht dazu verpflichten, betriebliche Organisationsstrukturen und -abläufe oder Standorte beizubehalten und geplante Organisationsänderungen nicht durchzuführen. Es ist nicht Sache der Arbeitsgerichte, dem Arbeitgeber eine bessere betriebliche oder unternehmerische Organisationsstruktur vorzuschreiben (BAG, Urteil v. 21.2.2002, 2 AZR 556/00[9]; BAG, Urteil v. 18.6.2015, 2 AZR 480/14[10]).

 

Rz. 671

Gleichwohl unterliegt die unternehmerische Entscheidung einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle: Nach st. Rspr. des BAG darf die Entscheidung nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sein (BAG, Urteil v. 29.11.2007, 2 AZR 388/06[11]; BAG, Urteil v. 24.5.2012, 2 AZR 124/11[12]). Es sollen Kündigungen vermieden werden, die zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen. Außerdem soll verhindert werden, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden (BAG, Urteil v. 27.4.2017, 2 AZR 67/17[13]). Das Unternehmenskonzept unterliegt einer Rechtsmissbrauchskontrolle.[14] Wird ein beschlossenes Konzept tatsächlich umgesetzt, spricht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen sachgerechter Gründe. Ein Unternehmer wird sich i. d. R. nicht bewusst...

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