Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. mangelnde Eignung gemäß Einigungsvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die vorsätzliche Falschbeantwortung der Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS indiziert die mangelnde persönliche Eignung für eine weitere Tätigkeit im öffentlichen Dienst.

2. Die hierdurch begründete negative Loyalitätsprognose kann erschüttert werden, wenn die wahrheitswidrige Erklärung in einer krankheitsbedingten Ausnahmesituation abgegeben wurde.

3. Wird der Arbeitnehmer später erneut nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS befragt, ist er verpflichtet, die Falschangabe freiwillig richtig zu stellen. Offenbart er sich erst nach Vorhalt der ihn belastenden Gauck-Auskunft, läßt dies keine positive Prognose künftig loyalen Verhaltens zu.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Anlage I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Erfurt (Urteil vom 09.06.1994; Aktenzeichen 1 Ca 121/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 04.06.1998; Aktenzeichen 8 AZR 496/96)

 

Tenor

Es ergeht folgendes

Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 09.06.1994, 1 Ca 121/93 abgeändert.

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung des beklagten Freistaates vom 18.03.1993 nicht zum 31.05.1993, sondern zum 30.09.1993 aufgelöst worden ist.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Parteien habe die Kosten je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision des Klägers wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf den Einigungsvertrag Anlage I Kap XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 (im folgenden: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Arbeitgeberkündigung.

Der am 19.08.1950 geborene Kläger war zuletzt als Angestellter im Bürodienst bei der Bereitschaftspolizei … tätig und verantwortlich für die Verwaltung der Bekleidungskammer. Auf das Arbeitsverhältnis fand der BAT-O kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung vom 04.03./30.03.1992 Anwendung (Bl. 39/40 d. A.). Der beklagte Freistaat hat – wie in der Berufungsverhandlung unstreitig wurde – die Vorbeschäftigungszeiten des Klägers bei der Volkspolizei der ehemaligen DDR seit 28.08.1969 anerkannt.

Im Jahre 1986 war der Kläger, damals Offizier für Bekleidung und Ausrüstung bei der … Volkspolizei-Bereitschaft … vom späteren Verbindungsoffizier … auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS angesprochen worden. Er willigte ein und verpflichtete sich handschriftlich. Sein Deckname war … Die Zusammenarbeit bestand nach Angabe des Klägers darin, dem Führungsoffizier in unregelmäßigen Abständen den Schlüssel für einen Raum im Bereich der Bekleidungskammer auszuhändigen. Der Führungsoffizier traf sich dort mit dem Kläger unbekannten Personen. Mit Wechsel des Führungsoffiziers endete die Zusammenarbeit im Jahre 1988.

Im Sommer 1990 erlitt der Kläger einen Schlaganfall. Er wurde vom 02.10.–10.12.1990 im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme im Fachkrankenhaus … behandelt. Im Abschlußbericht des Chefarztes Dr. … vom 10.12.1990 (Bl. 87/88 d. A.) heißt es auszugsweise:

Wegen seiner psychischen Instabilität, die bereits vor dem CVI bestand, ist der Patient bei Erfolgszwang leicht zu irritieren und in der Leistung beeinträchtigt. Die Wiedereingliederung ins Berufsleben ab Januar 1991 erscheint möglich, wenn eine berufliche Tätigkeit ausgeübt wird, die es zuläßt, nicht unter Zeitdruck zu arbeiten.

Bis 31.12.1990 war der Kläger krankgeschrieben.

Der beklagte Freistaat übermittelte ihm im Dezember 1990 einen „Fragebogen zur Ergänzung des Personalbogens-Erklärung”. Der Fragebogen enthält –u. a.– folgende Fragen:

Haben Sie mit dem Ministerium für Staatsicherheit (MfS) oder dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) hauptamtlich/nebenamtlich gegen Vergütung/ohne Vergütung oder in sonstiger Weise zusammengearbeitet?

(wenn ja, in welcher Funktion und bei welcher Gelegenheit?)

Sind Sie von einem der in der Nr. 1 genannte Dienste zur Mitarbeit angesprochen worden?

(wenn ja, wann, mit welchem Ergebnis?)

Der Kläger beantwortete diese Fragen unter dem 02.01.1991 mit „nein”.

Auf das Auskunfsverlangen des beklagten Freistaates teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit Schreiben vom 30.03.1992 (Bl. 98–100 d. A.) mit, daß der Kläger in der Klarennamen- und Vorgangskartei des MfS seit 23.09.1986 als inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration/sonstiges (IMK/S) mit dem Decknamen … erfaßt ist. Den Kläger betreffendes Aktenmaterial liegt nicht vor.

Daraufhin wurde der Klüger am 21.05.1992 angehört. Auf erneutes Befragen verneinte er weiterhin, mit dem MfS zusammengearbeitet zu haben oder angesprochen worden zu sein. Nach Vorhalt der Gauck-Auskunft räumte er sodann die Zusammenarbeit ein. Er gab an, zu dieser Zusammenarbeit gezwungen worden zu sein. Der MfS-Offizier … habe wegen brieflicher Westkontakte seiner Ehefrau mit der Entlassung und damit gedroht, sein Sohn werde nicht zum Studium zugelassen. Zu Beginn des Ge...

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