Das Wichtigste in Kürze:

1. Allgemein hat das BVerfG sogar in einer Plenumsentscheidung v. 30.4.2003 zum rechtlichen Gehör Stellung genommen.
2. Das Recht auf rechtliches Gehör umfasst ein Recht zur Äußerung über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage.
3. Das Recht auf rechtliches Gehör ist insbesondere dann verletzt, wenn dem Beschuldigten/Angeklagten nicht bzw. nicht ausreichend Akteneinsicht gewährt worden ist.
4. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör hat auch im Beweisantragsrecht Bedeutung.
5. Wird das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten oder des Verteidigers und damit auch das Konfrontationsrecht verletzt, steht die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG im Raum.
6. Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Anhörung sind nur Prozessrechtsmaximen, aber keine Verfassungsrechtsgrundsätze. Auch ein Recht auf unmittelbare Beweisaufnahme wird von Art. 103 Abs. 1 GG nicht garantiert.
7. Auch im Rahmen der Behandlung von Fristüberschreitungen können bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Fragen der (ausreichenden) Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht eine Rolle spielen.
8. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs hat auch Bedeutung, wenn es um die Fragen des (ersten) Zugangs zum Gericht bzw. zur nächsten Instanz geht.
9. Ob im Revisionsverfahren bei der Verfahrensrüge die besonderen – und immer strenger gewordenen – Zulässigkeitsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 bzw. die (zu) strenge Auslegung und Anwendung im Einzelfall materiell mit der Verfassung in Einklang stehen, ist fraglich.
10. Nach h.M. hat der Betroffene (derzeit) keinen Anspruch auf ein Rechtsgespräch.
11. Berücksichtigt man, dass die Rspr. dem Verteidiger verschiedene Hinweispflichten an das Gericht auferlegt hat, müsste man als Kehrseite auch an Hinweispflichten des Gerichts denken.
12. Art. 103 Abs. 1 GG sichert auch die gerichtliche Berücksichtigungspflicht.
13. Schließlich kann die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht, was in der Verfassungsbeschwerdebegründung darzustellen ist.
 

Rdn 1000

 

Literaturhinweise:

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ders., 25 Jahre Strafverteidigung im Gegenwind, AnwBl., 2009, 241, Fezer, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 26.11.1986 – 3 StR 390/86, StV 1987, 234 f.

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Vogelsang, Die Bedeutung erfolgreicher Verfahrensrügen für das nachfolgende tatrichterliche Urteil, 2001

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Wohlers, Justice must not only be done, it must also be seen to be done, im Internet abgedr. unter: http://www.strafverteidigervereinigungen.org/Material/Themen/StPO/Wohlers_Justice.htm – eingesehen am 1.6.2012

Ziegert, Die Entdeckung der Wahrheit, in: Festschrift für Volk, 2009, 901

s.a. die Hinw. bei → Verfassungsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 730.

 

Rdn 1001

1.a) Grds. das BVerfG in seiner Plenumsentscheidung v. 30.4.2003 (vgl. dazu BVerfGE 107, 395) zum rechtlichen Gehör Stellung genommen. Die dortigen Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. a. Rdn 1003 ff.):

Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG.
Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urr...

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