Das Wichtigste in Kürze:

1. Mit der Individualnichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV beantragt eine natürliche oder juristische Person die Handlung eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union für nichtig zu erklären.
2. Der Nichtigkeitsklage kommt für den im Zuge verstärkter Terrorismusbekämpfung vermehrte Bedeutung zu.
3. Eine Erweiterung ihres Anwendungsbereichs hat die Nichtigkeitsklage auch durch die Einbeziehung der Grundrechtecharta und den Beitritt der EU zur EMRK erfahren.
 

Rdn 458

 

Literaturhinweise:

Baumeister, Effektiver Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht, EuR 2005, 1

Burianski, Vorläufiger Rechtsschutz gegen belastende Rechtsakte – Lasset alle Hoffnung fahren?, EWS 2006, 304

Everling, Rechtsschutz in der Europäischen Union nach dem Vertrag von Lissabon, EuR 2009 Beiheft 1, 71

ders., Lissabon-Vertrag regelt Dauerstreit über Nichtigkeitsklage Privater, EuZW 2010, 572

Görlitz/Kubicki, Rechtsakte "mit schwierigem Charakter", EuZW 2011, 248

Happe, Lauf und Berechnung der Fristen bei Anfechtungen vor dem EuGH, EuZW 1992, 297

Huber, Deutsch als Gemeinschaftssprache, BayVBl. 1992, 1

Kokott/Dervisopoulos/Henze, Aktuelle Fragen des effektiven Rechtsschutzes durch die Gemeinschaftsgerichte, EuGRZ 2008, 10

Lengauer, Einstweiliger Rechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit im Gemeinschaftsrecht, EuR 2008 Beiheft 3, 69

Oppermann, Reform der EU-Sprachenregelung, NJW 2001, 2663

Sandner, Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Gemeinschaftsrecht vor deutschen Gerichten, DVBl 1998, 262

Schlemmer-Schulte, Gemeinschaftsrechtlicher vorläufiger Rechtsschutz und Vorlagepflicht, EuZW 1991, 307

Sladic, Anmerkungen zum beschleunigten Verfahren im EG-Prozessrecht, EuZW 2005, 712

Wägenbauer, Die Prüfungskompetenz des EuGH im Rechtsmittelverfahren, EuZW 1995, 199

ders., Die jüngere Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes, EuZW 1996, 327

ders., Das Kostenfestsetzungsverfahren vor den Gemeinschaftsgerichten: Wer klagt gewinnt?, EuZW 1997, 197

v. Winterfeld, Möglichkeiten der Verbesserung des individuellen Rechtsschutzes im europäischen Gemeinschaftsrecht, NJW 1988, 1409

Wolf, Kostenrecht und Kostenpraxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1976, 7

s.a. die Hinw. bei → Menschenrechtsbeschwerde, Allgemeines, Teil C Rdn 2.

 

Rdn 459

1.a) Mit der Individualnichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV (im Folgenden: Nichtigkeitsklage) beantragt eine natürliche oder juristische Person die Handlung eines Organs, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union für nichtig zu erklären. Ziel der Nichtigkeitsklage ist die Sicherstellung der Einhaltung der Rechtsvorschriften der Union (EuGH, Urt. v. 12.10.2011 – T-224/10 [ASBL/Kommission Nr. 84]).

 

Rdn 460

b) Vor Inkrafttreten des AEUV konnten natürliche und juristische Personen unter den Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 EGV die Nichtigkeitsklage erheben. Danach richtet sich die Nichtigkeitsklage gegen Entscheidungen, die als Handlungen mit individueller Geltung einzustufen sind, sowie gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung (wie eine Verordnung), sofern sie den Kläger unmittelbar betreffen und ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühren und dadurch in ähnlicher Weise individualisieren, wie den Adressaten einer Entscheidung (ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urt. v. 15.7.1963 – C-25/62 [Plaumann/Kommission] Slg. S. 238 f.; erneut bestätigt durch EuGH, Urt. v. 25.7.2002 – C-50/00 [Unión de Pequeños Agricultores/Rat Nr. 36]). Die Regelung geht zurück auf Art. 173 Abs. 2 EWGV, der bereits individuellen Rechtsschutz gegen Akte der Gemeinschaftsorgane gewährte.

 

Rdn 461

2. Der Nichtigkeitsklage ist für den Strafrechtler in jüngerer Vergangenheit wachsende Bedeutung zugekommen. Im Zuge verstärkter Terrorismusbekämpfung ist diese nicht zuletzt im Bereich EU-rechtlicher Umsetzung von Terrorlisten offenkundig geworden (s. etwa EuGH, Urt. v. 3.9.2008 – C-402/05 P u. C-415/05 P [Kadi u. Al Barakaat/Kommission u. Rat]; EuGH [GK], Urt. v. 18.7.2013 – C-584/10 P u.a. [Kommission u.a./Kadi] "Kadi II", EuGRZ 2013, 389). Auch hatte sich im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa gezeigt, dass Rechtsschutzdefizite aufgetreten waren, nachdem wider Erwarten Maßnahmen von Europol und Eurojust unmittelbar in (Grund-)Rechte natürlicher und juristischer Personen eingegriffen hatten (Böse, Europ. Strafrecht, § 54 Rn 35 m.w.N.). Die Einbeziehung der strafrechtlichen Zusammenarbeit in die Gerichtsbarkeit des EuGH durch den Vertrag von Lissabon ist geeignet, diese Rechtsschutzlücke zu schließen, unabhängig ungeschriebener denkbarer Lösungsansätze, wie der einer analogen Anwendung der Nichtigkeitsklage auf europäische Agenturen ohne geregelten Rechtsschutz (s. dazu Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages "Europäische Agenturen", S. 4). Im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammen...

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