Rdn 1514

 

Literaturhinweise:

Allgaier, Postalische Briefverzögerung im Rechtsverkehr – Rechtliche Bedeutung der Brieflaufzeiten, JurBüro 2012, 396

s.a. die Hinw. bei → Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Allgemeines, Teil B Rdn 1479.

 

Rdn 1515

1. Nach § 44 Abs. 1 ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Frist versäumt worden ist (vgl. dazu Rdn 1516) und den Antragsteller daran kein Verschulden trifft (zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge → Revision, Begründung, Frist, Teil A Rdn 2073 ff.; Burhoff, HV, Rn 2280 ff. und Burhoff/Junker, OWi, Rn 3234; vgl. a. noch u.a. BGHSt 31, 161; BGH NStZ-RR 2011, 99 [Ci/Zi]; BGH, Beschl. v. 23.8.2012 – 1 StR 346/12; OLG Köln NStZ-RR 1996, 212). Im Einzelnen gilt:

 

Rdn 1516

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nur bei Versäumung einer Frist i.S.d. § 44 in Betracht. Das sind, wie die §§ 45, 46 zeigen, prozessuale, notwendigerweise bei Gericht wahrzunehmende Pflichten, gleichgültig, ob sie gesetzliche oder richterliche, ursprüngliche oder verlängerte Fristen sind (Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn 3).

 

Rdn 1517

§ 44 gilt grds. nicht für (s. Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn 3; dazu Burhoff, EV, Rn 4386; Burhoff, HV, Rn 3468):

Erklärungsfristen und (Ausschluss-) Fristen, wie z.B. nach §§ 6a S. 3, 16 S. 3, 222a, 222b,
die 2-wöchige Antragsfrist des § 101 Abs. 7 S. 2, da es sich dabei ebenfalls um eine Ausschlussfrist handeln soll (KK-Nack, § 101 Rn 30; s. aber die Nachw. zur a.A. bei Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, § 101 Rn 25),
die Frist zur rechtzeitigen Stellung eines Ablehnungsantrags wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 25; vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 52; Burhoff, HV, Rn 116 ff.),
vom Gericht gesetzte Fristen, wie z.B. für die, die das Gericht zur Begründung einer Beschwerde gesetzt hat (OLG Karlsruhe MDR 1983, 250; OLG Stuttgart StRR 2015, 388 [Frist zur Gewährung rechtlichen Gehörs]),
den Fall, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger zu spät Kenntnis von einer gesetzlichen Bestimmung oder von höchstrichterlicher Rechtsprechung genommen haben (BGH StV 2010, 475),
die Frist zur Wahl des endgültigen Rechtsmittels, nachdem zunächst nur ein unbestimmtes Rechtsmittel eingelegt worden ist, ist ausgeschlossen (vgl. OLG Hamm StRR 2012, 148 [auch nicht im JGG-Verfahren]; OLG München wistra 2009, 327; OLG Naumburg StraFo 2009, 388.
 

Rdn 1518

3. Der Angeklagte/Betroffene muss "verhindert" gewesen sein, die Frist einzuhalten. Das waren er oder sein Verteidiger nur dann, wenn äußere Umstände, die er nicht steuern konnte, ihn an der der Fristwahrung gehindert haben. Kennt der Angeklagte/Verteidiger die Frist und lässt er sie bewusst verstreichen, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen. Derjenige, der von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch gemacht hat, ist grds. nicht verhindert i.S. des § 44. Unzutreffende rechtliche Einschätzungen und fehlerhafte Beratungen können durch das Wiedereinsetzungsverfahren also nicht repariert werden (BGH NStZ 2001, 160; 2012, 652; NStZ-RR 2012, 285 [Ls.]; OLG Hamm, Beschl. v. 9.9.2014 – 5 RVs 67/14). Wiedereinsetzung wird auch nicht mehr gewährt, wenn ein Rechtsmittel bereits wirksam zurückgenommen worden ist (BGH NStZ-RR 2013, 381).

 

☆ In den Fällen hilft dann auch nicht die Behauptung des Angeklagten, er habe sich nur von seinem (damaligen) Verteidiger überreden lassen, von einer unsinnigen Revision abzusehen (BGH NStZ-RR 2012, 285 [Ls.])."überreden" lassen, von einer "unsinnigen" Revision abzusehen (BGH NStZ-RR 2012, 285 [Ls.]).

 

Rdn 1519

4.a) Die Frist muss ohne eigenes Verschulden des zur Fristwahrung Verpflichteten versäumt worden sein (wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn 10 m.w.N.; Sommer StRR 2008, 90 ff.; Burhoff, EV, Rn 4388 ff.; Burhoff, HV, Rn 3470). Die Frist beginnt mit der Zustellung (zum Beweiswert einer Postzustellungsurkunde s. OLG Düsseldorf NJW 2000, 2831; OLG Hamm VRS 101, 439, jeweils m.w.N.; → Rechtsmittel/Rechtsbehelfe, Zustellung, Allgemeines, Teil A Rdn 1845).

 

☆ Die Frist ist dann unverschuldet versäumt, wenn der Betroffene die ihm persönlich zumutbare und gebotene Sorgfalt beachtet hat.gebotene Sorgfalt beachtet hat.

Die Anforderungen an die persönliche Sorgfalt des Beschuldigten dürfen nicht überspannt werden. Das gilt vor allem, wenn es um den sog. "ersten Zugang zum Gericht" geht (BbgVerfG NStZ-RR 2002, 239; Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn 11 m.w.N.).

 

Rdn 1520

b) Ein Verschulden des Verteidigers wird dem Beschuldigten i.d.R. nicht zugerechnet, was sowohl für den Wahl- als auch für den Pflichtverteidiger als auch für Anwaltspersonal, nicht aber für sonstige Dritte gilt (vgl. u.a. BVerfG NJW 1994, 1856; BGH NJW 1994, 3112; KG, Beschl. v. 20.3.2012 – 121 Ss 51/12 [Fristversäumung infolge unterlassener Fristnotierung]; OLG Hamm NZV 2012, 254 [Fristversäumung infolge Faxdefekt]; OLG Naumburg StRR 2014, 42 [Ls.; Wiedereinsetzung von Amts wegen trotz Fristversäumung durch Verschulden des Verteidigers]; OLG Schl...

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