Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens nach § 359 Nr. 5 hängt neben der Neuheit der Tatsachen oder Beweismittel, davon ab, ob diese überhaupt geeignet sind, das Ziel der Wiederaufnahme zu erreichen. Diese Prüfung geht über eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung hinaus.
2. Die Prüfung der Erheblichkeit ist anhand der schriftlichen Urteilsgründe vorzunehmen. Das Gericht ist an die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts gebunden. Ist das Beweismittel erheblich, muss zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erheblichkeit zu unterschieden werden.
3. Die neuen Tatsachen oder Beweismittel haben hinreichende Erfolgsaussicht, wenn sich die neuen Haupttatsachen als richtig bzw. "beweiskräftig" erweisen, bzw. die neuen Hilfstatsachen oder Beweismittel tatsächlich vorliegen und zum Beweis der entlastenden Haupttatsache ausreichen, auf die sie sich beziehen.
4. Als Konkretisierungshilfe für die Beurteilung der Geeignetheit bietet sich eine mittelbare Anwendung von § 244 Abs. 3 bis 5 an.
5. Sowohl die Erheblichkeit als auch die Erfolgsaussichten der neuen Tatsachen oder Beweismittel müssen im Antrag gesondert dargelegt werden, wenn es sich nicht ohnehin aus dem Antragsvorbringen.
 

Rdn 1283

 

Literaturhinweise:

Eisenberg, Aspekte des Verhältnisses von materieller Wahrheit und Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 359 ff. StPO, JR 2007, 363

Förschner, Der Deal und seine Folgen …Geständniswiderruf und Wiederaufnahme, StV 2008, 443

Fornauf, Die Neuheit bereits erörterter Tatsachen im Wiederaufnahmeverfahren, StraFo 2013, 235

Günther, Verbot der antizipierten Beweiswürdigung im strafprozessualen Wiederaufnahmeverfahren?, MDR 1974, 93

J. Meyer, Zum Begriff der Neuheit von Tatsachen oder Beweismitteln im Wiederaufnahmeverfahren, JZ 1968, 7

ders., Der "Fall Ossietzky" – auch eine Sache des Gesetzgebers, ZRP 1993, 284

Peters, Anm. zu BGH JR 1977, 215, JR 1977, 218

Schünemann, Das strafprozessuale Wiederaufnahmeverfahren propter nova und der Grundsatz "In dubio pro reo", ZStW 84 (1972), S. 870

Wasserburg, Die Funktion des Grundsatzes "in dubio pro reo" im Aditions- und Probationsverfahren, ZStW 94 (1982), 914

s.a. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1284

1.a) Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens nach § 359 Nr. 5 hängt neben der Neuheit der Tatsachen oder Beweismittel, die alleine nicht ausreichend ist, davon ab, ob diese – als "inhaltliche Voraussetzung" (LR-Gössel, § 368 Rn 19) – überhaupt geeignet sind, das Ziel der Wiederaufnahme zu erreichen. Diese Prüfung geht über eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung hinaus (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 17, 303, 304; BGH NJW 1977, 59 m. abl. Anm. Peters JR 1977, 217; aus Gründen der der Prozessökonomie (!)]; BGH NStZ 2000, 218). Kritisch wird das von Strate gesehen (vgl. MAH-Strate, § 27 Rn 67 ff.), der eine schlichte Schlüssigkeitsprüfung für ausreichend hält (dagegen aber wiederum LR-Gössel, § 368 Rn 23 f.).

 

Rdn 1285

b)aa) Die neuen Tatsachen oder Beweismittel müssen allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen (vgl. auch LG Kaiserslautern, Beschl. v. 27.3.2003 – 6034 Js 4296/02.4 KLs) geeignet, also erheblich sein und eine hinreichende Erfolgsaussicht bieten (für diese differenzierte Prüfung und Nomenklatur Marxen/Tiemann, Rn 202). Meyer-Goßner/Schmitt (§ 368 Rn 8) und LR-Gössel (§ 368 Rn 22) sprechen schlicht von "hypothetischer Schlüssigkeitsprüfung" (in der Formulierung unklar StrafPrax-Wasserburg, § 16 Rn 116 ff.). Anstelle der hinreichenden Erfolgsaussicht wird teilweise auch der Begriff der "Beweiskraft" verwendet (vgl. etwa MAH-Strate, § 27 Rn 72). Bei dieser Prüfung handelt es sich letztlich um eine antizipierte Beweiswürdigung (krit. hierzu Marxen/Tiemann, Rn 254), die jedoch allenfalls soweit zulässig ist, als keine förmliche Beweisaufnahme erforderlich ist (BGH NJW 1977, 59 m. Anm. Peters JR 1977, 217; OLG Koblenz StV 2003, 229; vgl. auch StrafPrax-Wasserburg, § 16 Rn 116; MAH-Strate, § 27 Rn 71 ["unverschiebbaren Grenze"]). Insbesondere darf die Eignungsprüfung nicht die Durchführung der HV ersetzen (OLG München StRR 2010, 386 [Fall Rupp]).

 

Rdn 1286

bb) Die Rspr. hatte diese Beweiswürdigung ursprünglich in erheblichem Maße ausgedehnt und letztlich in richterliches Ermessen abgleiten lassen (so MAH-Strate, § 27 Rn 68): So sei im Rahmen dieser Geeignetheitsprüfung ein "gewisses Abwägen" der Beweiskraft der neuen Beweismittel mit den Beweisergebnissen aus dem Ursprungsverfahren erforderlich (OLG Celle GA 1967, 284, 285, ["gewisse Vorwegnahme" der Beweiswürdigung sei unvermeidbar]; s.a. OLG Nürnberg, MDR 1964, 171). Erst das BVerfG hat dem mit einer bedeutsamen Entscheidung Einhalt geboten (BVerfG NStZ 1995, 2024). Danach darf das Wiederaufnahmegericht im Zulassungsverfahren nicht Beweise würdigen und Feststellungen treffen, die an der Struktur des Strafprozesses der HV vorbehalten sind. Auch darf die Feststellung solcher Tatsachen, die den Schuldspruch wesentlich tragen, nur in der HV erfolgen (ebenso sch...

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