Das Wichtigste in Kürze:

1. Im Probationsverfahren wird gem. § 370 Abs. 1 die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags geprüft.
2. Es ist umstr., ob im Probationsverfahren die Offizialmaxime oder die Dispositionsmaxime gilt.
3. Auch im Probationsverfahren kann das Wiederaufnahmegericht den Antrag auf seine Zulässigkeit hin prüfen und ihn gem. § 368 noch als unzulässig verwerfen.
4. Der Antrag ist begründet, wenn die Feststellungen im angegriffenen Urteil durch die neuen Tatsachen oder Beweismittel derart erschüttert worden sind, dass genügender Anlass zur Durchführung einer neuen HV besteht.
5. Über die Frage der Begründetheit des Wiederaufnahmeverfahrens wird unabhängig vom Ausgang der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 370 Abs. 1) durch zu begründenden (§ 34) Beschluss entschieden.
6. Ist der Wiederaufnahmeantrag begründet, wird – wenn kein Ausnahmefall des § 371 gegeben ist – eine neue HV angeordnet (§ 370 Abs. 2).
7. Der Verwerfungsbeschluss muss dem Antragsteller förmlich zugestellt werden.
8. Der Wiederaufnahmebeschluss hat zahlreiche Rechtsfolgen. Vor allem wird die Rechtskraft des alten Urteils durchbrochen, das Verfahren ist wieder rechtshängig und die Vollstreckung muss sofort beendet werden. Alte Haftbefehle leben nicht wieder auf.
 

Rdn 1217

 

Literaturhinweise:

Eisenberg, Aspekte des Verhältnisses von materieller Wahrheit und Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 359 ff. StPO, JR 2007, 367

Gössel, Zur Zuständigkeit für die Nachholung einer Entscheidung über die Strafaussetzung nach einem erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren, NStZ 1991, 556 (zugleich Anmerkung zu OLG Koblenz, NStZ 1991, 555)

Hellebrand, Geständniswiderruf und Wiederaufnahmeverfahren, NStZ 2008, 374

Krehl, Probationsverfahren, JR 2001, 211 (zugleich Anmerkung zu OLG Hamburg JR 2001, 207)

Strate, Die Tragweite des Verbots der Beweisantizipation im Wiederaufnahmeverfahren, in: Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, Berlin 1990, S. 469 ff.

Stree, Zur Gesamtstrafenbildung nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens und Aufrechterhaltung des früheren Urteils, JR 1982, 336 (zugleich Anmerkung zu BayObLG JR 1982, 335)

s.a. auch die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1218

1. Das Probationsverfahren (§ 370) schließt sich an ein erfolgreich durchlaufenes Aditionsverfahren (Meyer-Goßner/Schmitt, § 370 Rn 2; → Wiederaufnahme, Zulässigkeitsprüfung [Aditionsverfahren], Teil B Rdn 1440 ff.), also der bereits erfolgten Überprüfung der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags an. In ihm wird darüber entschieden, ob der Wiederaufnahmeantrag begründet ist, d.h. ob die im Rahmen der Beweisaufnahme nach § 369 erhobenen Beweise geeignet sind, das Ziel des Wiederaufnahmeantrags (→ Wiederaufnahme, Wiederaufnahmeziele, Teil B Rdn 1412 ff.) zu erreichen. Das ist dann der Fall, wenn die im Antrag aufgestellten Behauptungen durch die angebotenen Beweise genügend bestätigt wurden (Meyer-Goßner/Schmitt, § 370 Rn 4 m.w.N.; KK-Schmidt, § 370 Rn 4 ff.). Sodann wird die Wiederaufnahme des Verfahrens und in der Regel die Erneuerung der HV angeordnet (Marxen/Tiemann, Rn 7, 394), wobei eine Freisprechung auch ohne HV erfolgen kann, wenn die Voraussetzungen des § 371 gegeben sind.

 

☆ Ist die Beweiserhebung zwischen Aditions- und Probationsverfahren entbehrlich, können beide Beschlüsse miteinander verbunden werden (RGSt 35, 351; OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 22; OLG Bremen GA 1960, 216 (217); OLG München MDR 1974, 775; LR- Gössel , § 369 Rn 1a; § 370 Rn 3; Meyer-Goßner/Schmitt , § 370 Rn 2).Beschlüsse miteinander verbunden werden (RGSt 35, 351; OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 22; OLG Bremen GA 1960, 216 (217); OLG München MDR 1974, 775; LR-Gössel, § 369 Rn 1a; § 370 Rn 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 370 Rn 2).

 

Rdn 1219

2. Es ist umstr., ob im Probationsverfahren die Offizialmaxime (so Meyer-Goßner/Schmitt, § 369 Rn 5; LR-Gössel, § 369 Rn 3; KK-Schmidt, § 369 Rn 2; Alexander, in: Miebach/Hohmann, Kap. F.II.2.c) bb)) oder die Dispositionsmaxime (so konsequent im Hinblick auf die dort entwickelte Struktur des Wiederaufnahmeverfahrens Marxen/Tiemann, Rn 369; ebenso SK-Frister, § 369 Rn 10) gilt. Das BVerfG hat diesen Streit in einer bedeutsamen Entscheidung zu den Anforderungen an den Wiederaufnahmeantrag bewusst offen gelassen, aber darauf hingewiesen, dass es der auch hier zu beachtende Grundsatz des fairen Verfahrens zwingend vorschreibt, dass die Ermittlung des wahren Sachverhalts auch im Wiederaufnahmeverfahren von zentraler Bedeutung ist, da andernfalls das materielle Schuldprinzip nicht verwirklicht werde (BVerfG StV 2003, 223; vgl. hierzu auch MAH-Strate, § 27 Rn 7; Strate, S. 474 m.w.N.).

 

Rdn 1220

Der eindeutige Wortlaut des § 369 Abs. 2 ("Aufnahme der angetretenen Beweise") gibt der Anwendung der Dispositionsmaxime den Vorzug. Allein Antragsteller und -gegner bestimmen die Stoffsammlung, nicht aber das Wiederaufnahmegericht. Es muss dem Antragsteller überlassen bleiben, ob er Beweise in das Wiederaufnahmeverfahren einführt, da er auch das Risiko de...

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