Das Wichtigste in Kürze:

1. § 362 Nr. 4 regelt den einzigen Wiederaufnahmegrund zuungunsten des freigesprochenen Angeklagten, der ausschließlich von der Staatsanwaltschaft und dem Privatkläger (vgl. § 390 Abs. 1 S. 2) geltend gemacht werden kann.
2. Der Freigesprochene selbst muss nach erfolgtem Freispruch vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubhaftes und verwertbares Geständnis abgelegt haben.
3. Das Geständnis muss eine Straftat zum Gegenstand haben.
4. Der Sachvortrag im Wiederaufnahmeantrag muss zum einen enthalten, wann und vor wem das Geständnis abgelegt wurde, zum anderen ist anzugeben, woraus sich die Glaubhaftigkeit des Geständnisses ergibt.
5. Dem auf § 362 Nr. 4 gestützten Wiederaufnahmeantrag steht die eingetretene Verfolgungsverjährung entgegen.
 

Rdn 1165

 

Literaturhinweise:

Gössel, Bindung der Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten an die Verjährungsfrist?, NStZ 1988, 537

Hanack/von Gerlach/Wahle, Denkschrift zur Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß, Tübingen 1971

Mansdörfer, Wiederaufnahme im Strafverfahren: Brutaler Rechtsstaat, in: Legal Tribune Online, 11.9.2015 (abgerufen am: 26.2.2016)

Pabst, Wider die Erweiterung der Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten, ZIS 2010, 126

Radtke, Materielle Rechtskraft bei der Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 110 (1998), 297 ff.

Wolf, "Fehleinweisung" in das psychiatrische Krankenhaus (§ 63 StGB) – Erledigungserklärung oder Wiederaufnahme?, NJW 1997, 779 ff.

s.a. die Hinw. bei → Wiederaufnahme, Allgemeines, Teil B Rdn 1054.

 

Rdn 1166

1. § 362 Nr. 4 ist der einzige Wiederaufnahmegrund, der kein Pendant in § 359 hat. Er betrifft ausschließlich den (ganz oder teilweise) Freigesprochenen und kann nur von der StA und dem Privatkläger (vgl. § 390 Abs. 1 S. 2) geltend gemacht werden. Der Nebenkläger ist nicht mehr berechtigt, die Wiederaufnahme zu beantragen (SK-Frister [4. Aufl.], § 362 Rn 22). Es handelt sich um den "bedenklichsten" Wiederaufnahmegrund des § 362 (KMR-Eschelbach, § 362 Rn 83), dessen praktische Bedeutung jedoch überaus gering ist (zur Vereinbarkeit des Erfordernisses eines "glaubwürdigen Geständnisses" mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 3 GG vgl. SK-Frister [4. Aufl.], § 362 Rn 4 f.; KMR-Eschelbach, § 362 Rn 85).

 

Rdn 1167

2.a) § 362 Nr. 4 setzt nach dem Wortlaut einen vollkommenen Freispruch voraus (KK-Schmidt, § 362 Rn 9). Erfolgte zu Unrecht nur eine Verurteilung wegen einer weniger schweren Tat, ist die Wiederaufnahme ausgeschlossen (RGSt 3, 399 zum Geständnis eines Mordes nach Verurteilung wegen Totschlags; vgl. a. LR-Gössel, § 362 Rn 8 m.w.Bsp.; a.A. Peters, Strafprozeß, S. 678, für den Fall, dass die "wirklich verdiente Strafe" deutlich über der bisher verhängten Strafe liegt). Sofern neben dem Freispruch die Unterbringung angeordnet wurde, hindert dies die Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 4 nicht (KK-Schmidt, § 362 Rn 9; LR-Gössel, § 362 Rn 10 m.w.Bsp.).

 

Rdn 1168

b) Eine Wiederaufnahme kommt daneben aber auch in Betracht, wenn ein Verfahren bei in Tatmehrheit begangenen Delikten mit einem Teilfreispruch geendet hat (OLG Celle Nds.Rpfl. 1959, 120; KK-Schmidt, § 362 Rn 9; LR-Gössel, § 362 Rn 9; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn 4; SK-Frister, § 362 Rn 14). Dies gilt jedoch nur dann, wenn eine wesentliche Verschärfung der Strafe zu erwarten ist (Marxen/Tiemann, Rn 310).

 

Rdn 1169

c) Nach vereinzelten Stimmen in der Lit. soll § 362 Nr. 4 entsprechend auf Entscheidungen anwendbar sein, wenn sie in ihrer Wirkung einem Freispruch gleich kommen. Wurde ein Verfahren eingestellt und hat die Verfahrenseinstellung die Wirkung eines Freispruchs, weil sie das Verfahren dauerhaft beendet, soll sie dem Freispruch gleich stehen und eine entsprechende Anwendung von § 362 Nr. 4 rechtfertigen (LR-Gössel, § 362 Rn 11; Marxen/Tiemann, Rn 311). Dies soll im Ergebnis auch für das Vorliegen von Strafbefreiungsgründen gelten, wenn bei einem Angeklagten von Strafe abgesehen oder er für straffrei erklärt wurde (Marxen/Tiemann, Rn 312). Schließlich soll auch der Wegfall wesentlicher Teile einer fortgesetzten Handlung einem Teilfreispruch gleichstehen (Marxen/Tiemann, Rn 310), wobei diese Konstellation in der Praxis seit BGHSt 40, 138 aber kaum noch anzutreffen sein wird.

 

☆ Diese weit über den Wortlaut hinausgehende Ausdehnung des § 362 Nr. 4 ist vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG abzulehnen , da sie eine Analogie zulasten des Angeklagten darstellen würde (KMR- Eschelbach , § 362 Rn 94 zur Einstellung des Verfahrens). Das Absehen von Strafe einem Freispruch gleichzustellen, überzeugt zudem nicht: Während der Freispruch auf dem fehlenden Tatnachweis beruht, hängt die Straffreierklärung (z.B. § 199 StGB) oder das Absehen von Strafe (z.B. §§ 46b, 60 StGB) von besonderen Umständen ab, die in der – nachgewiesenen – Tat zum Ausdruck gekommen sind (so auch LR- Gössel , § 362 Rn 10, wenn auch ohne Begründung; ebenso KK- Schmidt , § 362 Rn 9, wonach immer dann kein Freispruc...

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