Das Wichtigste in Kürze:

1. Der Beschuldigte oder sein Verteidiger können jederzeit beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls stellen.
2. Ein entsprechender Antrag ist formlos möglich und grds. an keine Frist gebunden.
3. Die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls kommt während des gesamten Verfahrens in Betracht.
4. Der Antrag kann auch gestellt werden, wenn der angegriffene Haftbefehl nicht vollzogen wird, sei es weil der Beschuldigte flüchtig ist, er sich in anderer Sache in Haft befindet.
5. Ein schriftlicher Antrag auf Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls kommt in Betracht, wenn es darum geht, rechtliche oder tatsächliche Argumente schriftlich vorzutragen und der persönliche Eindruck des Mandanten nicht entscheidend ist.
6. Es besteht ein Anspruch auf Entscheidung.
7. Eine Beschränkung der Möglichkeit eines entsprechenden Antrages nur auf den Zeitraum nach Beginn der HV ist sachlich nicht nachvollziehbar.
8. Die Aufhebung des Haftbefehls beseitigt diesen insgesamt.
9. Bei der Außervollzugsetzung des Haftbefehls geht es ganz allgemein um die Anordnung weniger einschneidender Maßnahmen als des Vollzuges der U-Haft.
10. Wurde ein Haftbefehl unangefochten außer Vollzug gesetzt, dann ist jede nachfolgend neue haftrechtliche Entscheidung, mit der die Haftverschonung aufgehoben oder geändert wird, nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 zulässig.
11. Der Erlass eines neuen Haftbefehls nachdem der ursprüngliche außer Vollzug gesetzt war, ist ebenfalls nur unter den engen Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 zulässig.
12. Die Verfahrensbeteiligten können Beschwerde (§ 304) und weitere Beschwerde (§ 310) einlegen.
 

Rdn 844

 

Literaturhinweise:

Albrecht/Schädler, Der hessische Modellversuch zur Anwendung der "elektronischen Fußfessel", ZRP 2000, 466

Amelung, Die Sicherheitsleistung gem. § 116 StPO, StraFo 1997, 300

Amendt, Die Verfassungsmäßigkeit der strafprozessualen Sicherheitsleistungsvorschriften, 1986

Herrmann, Neue Umstände i.S.v. § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO, StRR 2013, 12

Hohlweck, Sicherheitsleistung bei Verdunkelungsgefahr, NStZ 1998, 600, 6

Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, 1999

Mayer, Modellprojekt Elektronische Fußfessel. Wissenschaftliche Befunde zur Modellphase des hessischen Projekts. Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, forschung aktuell – research in brief, Nr. 23

Nehm, Umfang der Bindung des Ermittlungsrichters an Anträge der Staatsanwaltschaft, in: Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S. 277

Neuhaus, Haftverschonungsauflagen und ihre Kontrolle, StV 1999, 340

ders., Die Befristung der Haftverschonung: Stets unzulässiger Urlaub aus der Untersuchungshaft?, StraFo 2000, 13

Rixen, Kaution durch die Kommune? – § 116 I Nr. 4 und das Kommunalrecht, NStZ 1999, 329

Schlicht/Leipold, Zur praktischen Anwendung des § 307 Abs. 2 StPO, StraFo 2005, 90

Schlothauer, Caution – Kaution! Fallstricke für Beschuldigte und Verteidiger, in: FS 25 Jahre AG Strafrecht, 2009, S. 1039

Seebode, Der Vollzug der Untersuchungshaft, 1985

Ullrich, Handlungsmöglichkeiten des Strafverteidigers im Haftverfahren?, StV 1986, 268

Weichert, Der elektronische Hausarrest aus Sicht des Datenschutzes, StV 2000, 335

Wittstamm, Zur Anwendbarkeit eines amerikanischen Sanktionsmodells, 1999

Wolsfeld, Wenn der Mandant "einrücken soll", PStR 2001, 280

s.a. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil B Rdn 806.

 

Rdn 845

1. Der Beschuldigte oder sein Verteidiger können jederzeit beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls stellen. Es geht letztlich um einen Antrag an das Gericht, seine Entscheidung zu überprüfen und diese aufgrund nachträglich besserer Einsicht von Amts wegen aufzuheben oder abzuändern, Letzteres ggf. unter Auflagen (vgl. § 116).

 

Rdn 846

2. Ein entsprechender Antrag ist formlos möglich und grds. an keine Frist gebunden.

 

Rdn 847

3. Die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls kommt während des gesamten Verfahrens in Betracht. Schon bei seinem Erlass kann eine Haftverschonung erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 116 Rn 1). Auch das OLG kann im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121, 122 eine Außervollzugsetzung beschließen (OLG Hamm StV 2000, 631; zur Problematik der Außervollzugsetzung des Haftbefehls nach § 116 nach Rechtskraft s. Schweckendieck NStZ 2011, 10). Der Antrag ist stets statthaft, insbesondere auch dann, wenn bspw. eine Beschwerde unzulässig ist.

 

Rdn 848

4. Der Antrag kann auch gestellt werden, wenn der angegriffene Haftbefehl nicht vollzogen wird, sei es weil der Beschuldigte flüchtig ist, er sich in anderer Sache in Haft befindet (Überhaft) oder der Haftbefehl gem. § 116 außer Vollzug gesetzt ist (vgl. zum Ganzen Burhoff, EV, Rn 3763; Schlothauer/Weider, Rn 787; s. auch Ullrich StV 1986, 268; allgemein zur Gegenvorstellung → Gegenvorstellung, Allgemeines, Teil B Rdn 274, m.w.N.; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 296 Rn 23; KK-Paul, vor § 296 Rn 4; einschr. M...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge