Das Wichtigste in Kürze:

1. Nach der Änderung des § 329 zum 25.7.2015 ist die Verwerfung der Berufung ohne Sachverhandlung nur noch dann erlaubt, wenn zu Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsmacht erschienen ist.
2. Die Neuregelung gilt auch in bei ihrem Inkrafttreten bereits laufenden Berufungsverfahren.
3. Nach § 329 Abs. 1 S. 2 darf die Berufung verworfen werden in nach der Neuregelung ausdrücklich geregelten Verwerfungsfällen.
4. Voraussetzung für eine Verwerfung der Berufung, dass Angeklagter und Verteidiger zur HV wirksam geladen worden sind (§§ 214 – 218).
5. Gem. § 329 Abs. 7 steht dem Angeklagten gegen ein Verwerfungsurteil der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder die Revision zu.
6. Verfahrenshindernisse/fehlende Prozessvoraussetzungen hindern den Erlass eines Verwerfungsurteils.
 

Rdn 58

 

Literaturhinweise:

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376

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Rdn 59

1.a) Gegen einen ausgebliebenen oder abwesenden Angeklagten findet eine HV in Tatsacheninstanzen grds. nicht statt (vgl. §§ 230 Abs. 1, 285 Abs. 1 S. 1; zur Revisionshauptverhandlung s. § 350 Abs. 2; → Revision, Verfahrensablauf, Teil A Rdn 2282). Dies beruht auf dem Anspruch auf rechtliches Gehör einerseits und der Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2; vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 329) andererseits. Damit korrespondiert eine Pflicht des Angeklagten zum Erscheinen und Verbleiben in der HV (Burhoff, HV, Rn 315 ff.). Ausnahmen hiervon sind in §§ 231 Abs. 2, 231b, 232, 233 sowie beim Einspruch gegen einen Strafbefehl nach § 411 Abs. 2 normiert (→ Strafbefehl, Hauptverfahren, Teil B Rdn 770). Diese Grundsätze gelten über § 332 auch für die Berufungshauptverhandlung. Gerade hier ist aber häufiger ein Ausbleiben des Angeklagten festzustellen. Das kann unterschiedliche Gründe haben, wie etwa die Absicht, hierdurch gezielt eine nachteilige Entscheidung zu verhindern oder das fehlende Vertrauen in die Erfolgsaussicht der eige...

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