Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Pflicht zur Leistungserbringung für adipositas-chirurgischen Maßnahmen in Form einer Schlauchmagen-Operation

 

Orientierungssatz

1. Jedenfalls bei einer Adipositas mit einem Body-Maß-Index von 46,9 kg/m² und bereits manifestierten Folgeerkrankungen in Form von medikamentös behandelten Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Gesundheitsstörungen des Stütz- und Bewegungsapparates ist von einer behandlungsbedürftigen Krankheit auszugehen, die auch chirurgische Maßnahmen zur Reduzierung und nachhaltigen Verringerung des Körpergewichts rechtfertigen kann (hier: Schlauchmagen-Operation).

2. Hat ein an schwerer Adipositas leidender Patient (hier: Body-Maß-Index von 46,9 kg/m²) bereits erfolglos verschiedene Maßnahmen des Verhaltens- und Entspannungstrainings, der Ernährungsberatung und Bewegungstherapie absolviert, ohne damit das Übergewicht nachhaltig verringern zu können, ist ausnahmsweise auch eine Schlauchmagen-Operation als mittelbare Behandlungsmaßnahme gerechtfertigt und von der gesetzlichen Krankenkasse zu finanzieren.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 verurteilt, an die Klägerin 7.513,69 Euro gemäß der Rechnung des Klinikum M. d. B. vom 23.10.2017 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Umstritten ist ein Anspruch auf Gewährung einer adipositas-chirurgischen Maßnahme bzw. die Kostenerstattung für eine solche.

Die im September 1968 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte im Mai 2016 die Übernahme der Kosten für eine chirurgische Adipositasbehandlung. Zur Begründung machte sie geltend: Ihr Körpergewicht betrage 131 kg bei einer Körpergröße von 167 cm. Sie habe in den letzten 20 Jahren unzählige erfolglose Versuche unternommen, ihr seit der Jugend bestehendes Übergewicht - der Höchststand ihres Gewichts habe 139 kg betragen - in den Griff zu bekommen. Mittels des Kurses “Abnehmen beginnt im Kopf„, den sie von Oktober 2013 bis April 2014 im Gesundheitspark T. besucht habe, sei es ihr gelungen, 21 Kilo abzunehmen. Im Anschluss an diesen Kurs habe sie sich weiter regelmäßig bewegt, was ihr allerdings wegen einer Arthrose im Knie seit Frühjahr 2015 nicht mehr möglich gewesen sei. Sie leide darüber hinaus an einem Bluthochdruck und habe einen beginnenden Diabetes mellitus entwickelt.

Ihrem Antrag legte die Klägerin u.a. ein ausführliches Schreiben der Prof. Dr. D. (Leiterin des Adipositas Zentrums des Klinikums M. d. B. in T.) vom 27.04.2016 bei, in dem es heißt: Die Klägerin habe ein konsequentes multimodales Therapiekonzept mit integriertem Verhaltenstraining und kontrollierter medizinischer Ernährungsberatung und Bewegungstherapie durchgeführt, was zu einer Gewichtsreduktion geführt habe. Auch im Anschluss habe die Klägerin ihre Bewegungstherapie beibehalten, bei Entwicklung weiterer Begleiterkrankungen sei es dann wieder zu einer deutlichen Gewichtszunahme gekommen. Der Gesundheitszustand habe sich deutlich verschlechtert. Die enormen, fachärztlich bestätigten Folgeerkrankungen - Diabetes mellitus Typ 2, chronisch-venöse Insuffizienz, Gonarthrose beidseits, aktiviert rechts, Hyperurikämie, Retropatellararthrose, Sprunggelenksarthrose, Spondylarthrose, degenerative Retrolisthesis, Spondylose der BWS - seien im Wesentlichen durch die Adipositas bedingt und könnten durch eine dauerhafte Gewichtsreduktion in ihrer Ausprägung reduziert bzw. zurückgebildet werden. Weder laborchemisch, noch klinisch bestünden Zeichen einer endokrinologischen Ursache der Adipositas. Aufgrund des langjährigen Versagens der konservativen multimodalen Therapie, des psychischen Leidensdrucks der Klägerin und der zunehmenden Begleiterkrankungen bestehe die medizinische Indikation zur operativen Therapie der Adipositas. Die leitende Diplom-Psychologin des Klinikums M. d. B. B. sah keine Anhaltspunkte, die aus psychologischer Sicht gegen eine adipositas-chirurgische Maßnahme bei der Klägerin sprächen (Bericht vom 17.12.2015). Die Diätassistentin H. gab in ihrem (undatierten) Bericht an, dass trotz einer durchgreifenden Änderung der Ernährungsgewohnheiten bei ungestörter Kommunikation eine adäquate Gewichtsreduktion nicht zu etablieren gewesen sei. Sie sehe keine Chance mehr, bei dem aktuellen BMI auf konservativem Weg eine langfristige Gewichtsreduktion zu erzielen. Der Orthopäde Dr. H., T., empfahl in einem ärztlichen Attest vom 24.02.2016 einen chirurgischen Eingriff in Form einer Magenreduktion zur Gewichtsreduktion, um so eine deutliche Besserung der Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates (Wirbelsäule, Knie) zu erreichen. Die Klägerin fügte ihrem Antrag außerdem ein über 14 Tage geführtes Ernährungstagebuch, Arztbriefe der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Fleischstraße Trier, einen Arztbrief der Fachärztinnen für Innere Medizin Dres. P./G.-F., T., sowie eine Teilnahmebescheinigung über die regelmäßige und daue...

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