Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung. Anspruch auf eine primäre Durchführung einer Magenbypass-Operation ohne präoperative konservative Therapie. Ausnahmefall bei BMI ≫ 40 kg/m², schlecht einstellbarem Diabetes mellitus II und Polyneuropathie

 

Orientierungssatz

1. Eine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht.

2. Eine Magenbypass- Operation ist nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu erbringen, wenn Behandlungsalternativen, die notwendig, wirtschaftlich und aussichtsreich sind, nicht bestehen oder bereits ohne Erfolg angewandt wurden. Bei den Behandlungsalternativen handelt es sich um eine diätetische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie und Psychotherapie. Außerdem muss nachgewiesen sein, dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu fordernden Bedingungen einer erfolgreichen Behandlung erfüllt sind wie z. B. BMI ≫ 40, Erschöpfung konservativer Behandlungsmöglichkeiten, tolerables Operationsrisiko, ausreichende Motivation, keine manifeste psychische Erkrankung, Möglichkeit einer lebenslangen medizinischen Nachbetreuung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 1 KR 2/08 R - Magenband - und Urteil vom BSG vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R).

3. Eine chirurgische Therapie kann dann ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt. Dies ist gegeben bei einem BMI ≫ 40 kg/m², der besonderen Schwere von Begleit- und Folgekrankheiten der Adipositas und persönlichen psychosozialen Umständen, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellen.

 

Tenor

1) Der Bescheid vom 31.07.2014 und der Widerspruchsbescheid vom 16.12.2014 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Magenbypassoperation als Sachleistung zu genehmigen.

2) Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Kostenübernahme für eine Magenbypass-Operation.

Die 1959 geborene Klägerin leidet an Adipositas, einem schlecht eingestellten insulinpflichtigen Diabetes mellitus, Wirbelsäulenbeschwerden und intermittierenden Herzrhythmusstörungen sowie an einer Polyneuropathie. Die Klägerin wiegt bei einer Größe von 1,68 m 154,4 kg, dies entspricht einem BMI von 54,6 kg/m2. Die Klägerin beantragte unter Vorlage eines Antrages auf Genehmigung einer Magenbypass-Operation des Krankenhauses C. vom 07.05.2014 bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Magenbypass-Operation. Die Klägerin legte auf Anforderung noch eine Bescheinigung von Dr. D. vom 08.05.2014 sowie eine Stellungnahme zu ihren gesundheitlichen Einschränkungen vor. Die Beklagte ließ beim MDK - Dr. E. - ein Gutachten zur Notwendigkeit der Magenbypass-Operation erstellen. Mit Bescheid vom 31.07.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die medizinischen Voraussetzungen für den geplanten Eingriff nicht erfüllt seien. Aus sozialmedizinischer Sicht würden die bislang unternommenen Therapieversuche nicht dem multimodalen Therapiekonzept (Bewegung-Ernährung und Psychotherapie) entsprechen. Der MDK habe das Ausschöpfen einer konservativen Therapie im multimodalen Setting mit ernährungsmedizinischer Unterstützung empfohlen.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 26.08.2014 Widerspruch.

Am 21.08.2014 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben und die Feststellung beantragt, dass ihr Antrag auf Gewährung einer adipositaschirurgischen Operation als Sachleistung aus dem Mai 2014 gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte.

Am 16.12.2014 erließ die Beklagte den Widerspruchsbescheid. Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, operative Magenverkleinerungen seien zur Behandlung des extremen krankhaften Übergewichts nur in besonderen Ausnahmefällen als letzte Behandlungsmöglichkeit (sogenannte Ultima-ratio) gerechtfertigt. Die Krankenkassen dürften die Kosten für diese Maßnahme daher nur übernehmen, wenn sämtliche konservativen Behandlungsmethoden (diätetische, medikamentöse, Psycho- und/oder Bewegungstherapie) erfolglos durchgeführt worden seien. Darüber müsse der Body- Maß-Index mindestens 35 betragen und erhebliche Begleiterkrankungen müssten eingetreten sein. Der MDK sei in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinische Notwendigkeit der beantragten bariatrischen Operation zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestehe und eine Ultima-ratio-Situation nicht nachvollzogen werden könne. Der MDK habe das Ausschöpfen der konservativen Therapie empfohlen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 31.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.0214 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Magenbypass-Operation als Sachleistung zu gewäh...

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