Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Abgabe verordneter Arzneimittel durch eine Krankenhausapotheke für ambulante Chemotherapien. Rückerstattung von geleisteten Zahlungen für die Umsatzsteuer. Geltung der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist. Beantragung von Ruhen im sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Hintergrund einer zu erwartenden obergerichtlichen Entscheidung ist kein Nichtbetreiben. keine Einräumung von Vertrauensschutz auf eigene oder fremde Rechtsprechung durch Gerichte. Recht auf abweichende Entscheidungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn Beteiligte im sozialgerichtlichen Verfahren das Ruhen vor dem Hintergrund einer zu erwartenden obergerichtlichen Entscheidung in ähnlicher Sache oder aus vergleichbaren Gründen beantragen, stellt dies kein Nichtbetreiben im Sinne des § 204 Abs 2 S 2 BGB dar.

2. Für Vergütungsforderungen von Krankenhäusern gegen Krankenkassen gilt auf Grund der Verweisung in § 69 Abs 1 S 3 SGB V die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Gleiches gilt auch für Erstattungsansprüche von Krankenkassen gegenüber Krankenhausträgern (vgl SG Mainz vom 4.6.2014 - S 3 KR 645/13 - Rn 41ff; SG Mainz vom 11.1.2016 - S 3 KR 349/15 - Rn 26ff; entgegen BSG vom 12.5.2005 - B 3 KR 32/04 R = SozR 4-2500 § 69 Nr 1, vom 28.9.2006 - B 3 KR 20/05 R = BSGE 97, 125 = SozR 4-1500 § 92 Nr 3, vom 28.2.2007 - B 3 KR 12/06 R = BSGE 98, 142 = SozR 4-2500 § 276 Nr 1, vom 28.11.2013 - B 3 KR 27/12 R = BSGE 115, 40 = SozR 4-2500 § 302 Nr 1, vom 17.12.2013 - B 1 KR 60/12 R, vom 21.4.2015 - B 1 KR 11/15 R = SozR 4-2500 § 69 Nr 10 Rn 13 und vom 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R = BSGE 119, 150 = SozR 4-5560 § 17c Nr 3 Rn 44).

3. Gerichte können auf Grund ihrer Funktion im verfassungsmäßig vorgegebenen System der Gewaltenteilung entgegen der bestehenden Rechtslage keinen Vertrauensschutz auf eigene oder fremde (obergerichtliche) Rechtsprechung einräumen (vgl schon SG Mainz vom 11.1.2016 - S 3 KR 349/15 aaO).

4. Ein Gericht darf und muss bei jeder Entscheidung von eigener oder anderer Rechtsprechung abweichen, wenn es die nunmehr getroffene Entscheidung für die rechtlich zutreffende hält. Jedes Gericht ist verpflichtet, das Recht so anzuwenden, wie es der jeweils zuständige Spruchkörper im konkreten Streitfall als richtig erkennt (vgl BVerwG vom 28.2.1995 - 4 B 214/94 - Rn 3).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 1.581,26 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von im Jahr 2010 gezahlter Umsatzsteuer.

Der Beklagte ist ein Universitätsklinikum, das als Hochschulklinik gemäß § 108 Nr. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) i.V.m. § 83 des Hochschulgesetzes Schleswig-Holstein (HSG S-H) zur Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Patienten zugelassen ist. Ambulante Chemotherapien für gesetzlich Krankenversicherte werden an diesem Klinikum im Rahmen einer Spezialambulanz nach § 116b SGB V durchgeführt. Zu dem Klinikum gehört eine Krankenhausapotheke, in der nach ärztlicher Verordnung Zytostatika für die ambulante und stationäre Verabreichung an Patienten im Klinikum des Beklagten individuell hergestellt werden. Die Abgabe verordneter Arzneimittel durch die Krankenhausapotheke für ambulante Behandlungen erfolgt auf der Grundlage eines zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages gemäß § 129a SGB V.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Rückerstattung von im Jahr 2010 geleisteten Zahlungen für Umsatzsteuer auf die Abgabe von Zytostatikazubereitungen durch die Krankenhausapotheke des Beklagten zur Behandlung von bei der Klägerin versicherten Patienten.

Am 18.12.2014 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 24.09.2014 (V R 19/11) entschieden, dass die Verabreichung von Zytostatika an ambulant im Krankenhaus behandelte Patienten als mit dem Betrieb der Krankenhäuser eng verbundener Umsatz steuerfrei sei. Der Beklagte sei daher mit Schreiben vom 19.11.2014 aufgefordert worden, schriftlich auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Da der Beklagte nicht reagiert habe, sei die Klageerhebung geboten gewesen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.581,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich die Abweisung der Klage. Die Klägerin habe schon nicht kenntlich gemacht, hinsichtlich welcher Rechnungen Rückzahlungsansprüche geltend gemacht werden sollen.

Auf Antrag der Beteiligten wurde das Verfahren wegen der erwarteten Positionierung der Finanzverwaltung zu dem Urteil des BFH vom 24.09.2014 (V R 19/11) mit Beschluss vom 25.03.2015 zum Ruhen gebracht.

Mit Schriftsatz vom 29.08.2016 hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Hierzu macht er geltend, die Verjährung sei dadurch eingetreten, dass das Verfahren für mehr als sechs Monate zum Ruhen gebracht worde...

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