Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Verjährungsfrist für Abrechnungsstreitigkeiten. analoge Anwendung von Rechtsnormen auf nach dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte. unterbliebene Reaktion der Gesetzgebungsorgane auf eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für Vergütungsforderungen von Krankenhäusern gegen Krankenkassen gilt auf Grund der Verweisung in § 69 Abs 1 S 3 SGB V die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB. Gleiches gilt für Erstattungsansprüche von Krankenkassen gegen Krankenhausträger (Fortführung von SG Mainz vom 4.6.2014 - S 3 KR 645/13 - RdNr 41 ff = KrV 2014, 171; entgegen ua BSG vom 12.5.2005 - B 3 KR 32/04 R = SozR 4-2500 § 69 Nr 1; BSG vom 21.4.2015 - B 1 KR 11/15 R - RdNr 13 = SozR 4-2500 § 69 Nr 10; BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R - RdNr 44 = SozR 4-5560 § 17c Nr 3).

2. Eine Verjährungsfrist von vier Jahren ist auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes in die ständige Rechtsprechung des BSG einzuräumen. Gerichte dürfen wegen ihrer Funktion im Rechtsstaat über auf konkrete Verfahren bezogene Maßnahmen hinaus keinen Vertrauensschutz auf ihre Rechtsprechung oder auf die Rechtsprechung der ihnen übergeordneten Gerichte gewähren (entgegen ua BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R - RdNr 24 aaO). Gerichte haben das Recht vielmehr stets so anzuwenden, wie es der jeweils zuständige Spruchkörper im konkreten Streitfall als richtig erkennt (Anschluss an BVerwG vom 28.2.1995 - 4 B 214/94 - RdNr 3).

3. Eine analoge Anwendung von Rechtsnormen auf nach dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gesetzesbindungsgebots aus Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 Grundgesetz (GG) nur zulässig, wenn eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht. Von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke darf nur dann ausgegangen werden, wenn der zu entscheidende Fall andernfalls nicht zu lösen wäre (Fortführung von SG Mainz vom 21.9.2015 - S 3 KR 558/14 - RdNr 29 ff).

4. Eine unterbliebene Reaktion der Gesetzgebungsorgane auf eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung ist für die Auslegung des Gesetzes bedeutungslos. Die Interpretation der Untätigkeit der Gesetzgebungsorgane als legitimierende Billigung der Rechtsprechung ist aus verfassungsrechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht begründbar (Fortführung von SG Mainz vom 31.8.2015 - S 3 KR 405/13 - RdNr 140 ff).

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 774,32 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 13.06.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz wird zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 774,32 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Zahlung der Vergütung für eine Krankenhausbehandlung.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte 1921 geborene Patientin ... wurde in der Zeit vom 18.11.2008 bis zum 24.11.2008 im ..., dessen Trägerin die Klägerin ist, wegen der Folgen eines Sturzes stationär behandelt. Die Klägerin stellte der Beklagten für diese Behandlung auf Grundlage der DRG B69E (Transitorische ischämische Attacke (TIA) und extrakranielle Gefäßverschlüsse ohne neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, ohne äußerst schwere CC) einen Gesamtbetrag in Höhe von 2.634,43 Euro in Rechnung.

Die Beklagte zahlte am 30.12.2008 zunächst den gesamten Rechnungsbetrag und leitete daraufhin eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD BEV) ein. Dies wurde der Klägerin am 22.01.2009 mitgeteilt, woraufhin diese die angeforderten Unterlagen übersandte.

Eine gutachterliche Stellungnahme des MD BEV erfolgte am 28.03.2011 mit dem Ergebnis, dass der von der Klägerin als Hauptdiagnose angegebene Code G45.93 (Zerebrale transitorische Ischämie, nicht näher bezeichnet: komplette Rückbildung innerhalb von weniger als 1 Stunde) nur als Nebendiagnose relevant sei. Als Hauptdiagnose sei der Code S80.0 (Prellung des Knies) zu kodieren. Als DRG sei deshalb die J65A (Verletzung der Haut, Unterhaut und Mamma, Alter ≫ 70 Jahre oder schwere CC) zu kodieren.

Mit Schreiben vom 24.06.2011 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Begutachtung mit und bat die Klägerin um Rechnungskorrektur um einen Betrag von 774,32 Euro.

Die Klägerin widersprach dem Begutachtungsergebnis mit Schreiben vom 06.07.2011 und äußerte die Auffassung, dass ihre Abrechnung der DRG B69E korrekt sei.

In einer zweiten Stellungnahme vom 30.12.2011 bestätigte der MD BEV sein vorheriges Ergebnis. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 26.01.2012 das Ergebnis der erneuten Begutachtung mit und bat erneut um Rechnungskorrektur.

Am 12.06.2012 verrechnete die Beklagte einen Betrag von 774,32 Euro gegen eine Forderung der Klägerin gegen die Beklagte aus einer stationären Behandlung der Versicherten Frau ... mit Rechnungsdatum vom 23.05.2012.

Die Klägerin hat am 01.10.2012 Klage erhoben. Zur Begrü...

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